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Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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Entwickeln und Autonom-Werden konzentrieren, wenn sie sich ihrer primären Bindungsperson, und das ist nun mal meist die Mutter, sicher sein können. Können sie es nicht, ist das Ergebnis entweder eine unsicher-vermeidende, eine unsicher-ambivalente oder eine sogenannte desorganisierte Bindung (siehe auch Brisch 2009). Und alle diese Bindungsformen verursachen Kindern später große Schwierigkeiten, insbesondere dann, wenn sie auch schwierige Lebensbedingungen haben, etwa in Kriegs- und Krisengebieten.
    Eine Studie zieht zum Beispiel folgende Schlussfolgerung: „Unsicher-vermeidende Kinder sind besonders verletzlich, weil sie eine Tendenz haben, Gefahren zu meiden, den Hilfsangeboten anderer zu misstrauen und sich stattdessen bei Gefahren zurückzuziehen und sich abzulenken. Unsicher-ambivalente Kinder haben besondere Risiken, weil sie Gefahren überbewerten und bei ihnen ein Übermaß negativer Gefühle ausgelöst wird“ (Punamäki 2002).
    Am schlimmsten aber, da sind sich alle Forscher einig, wirkt sich der sogenannte desorganisierte bzw. desorientierte Bindungsstil aus (siehe  Kapitel 3, „Erleben, erinnern und reagieren“ ). Die amerikanische Forscherin Ruth Blizard (2003) hat sich sehr intensiv mit dem Zusammenhang von Dissoziation, Traumatisierung und desorganisierter Bindung beschäftigt. Hier einige ihrer Befunde:
    „Desorganisierte (D-)Bindung und die Double-bind-Merkmale von (in der Regel Mutter-Kind-)Beziehung, die sie hervorbringt ... lassen uns verstehen, wie einander abwechselnde dissoziative Selbst-Zustände mit unvereinbaren, idealisierend-entwertenden und Opfer-Täter-Beziehungsmodellen zustande kommen.“ Kinder, die erleben mussten, von einer primären Bindungsperson misshandelt zu werden, von einer also, die zwei Gesichter hat, „entwickeln daraufhin zwei oder mehr Selbst-Zustände mit zwei gegensätzlichen Grundvorstellungen von Beziehung ... Da die Beziehung in der Herkunftsfamilie mindestens so wichtig ist in der Entwicklung von dissoziativen Selbst-Zuständen wie die Traumatisierung, hat dies wichtige Folgerungen für die Behandlung der Überlebenden von sexuellem Kindesmissbrauch: D-Bindung kann sich aus verschiedenem elterlichem Verhalten ergeben: aus Missbrauch, Vernachlässigung, erschreckendem, übergriffigem oder extrem unsensiblem Verhalten sowie aus abgebrochener Kommunikation.“ In der Regel findet man eine Kombination von allen diesen Faktoren. Langzeitstudien zeigen, dass „D-Bindung in der Kleinkindzeit ein wichtiger Vorhersagewert ist für Dissoziation als Kind und junger Erwachsener“. Und was bedeutet es nun für die Therapie? Hierzu Blizard: „Die TherapeutIn dient als Beziehungsbrücke zwischen dissoziierten Selbst-Zuständen und erlaubt es der PatientIn, ein Arbeitsmodell einer funktionierenden Beziehung zu entwickeln. Diese therapeutische Interaktion erlaubt es der PatientIn dann, Wege zu finden, dissoziierte Selbst-Zustände zu integrieren und flexiblere, angemessenere Vorstellungen davon zu entwickeln, wie sie mit anderen Menschen zusammen sein kann.“ (In Kapiteln 10, 11 und 12 in diesem Band werden Sie immer wieder auf diese zentralen Vorstellungen stoßen. Sie sind den meisten TherapeutInnen zu eigen, die mit Überlebenden von frühen Bindungstraumatisierungen arbeiten.)
    Mütter, die ihre Kinder misshandeln, so eine Studie australischer KollegInnen (Amos et al. 2011), versuchen damit unbewusst, aufkommende Erinnerungen an eigene leidvolle Kindheitserfahrungen mit ihren eigenen primären Bindungspersonen zu verhindern. Genau das verweist auf die Funktion, die Täterverhalten häufig hat.
    6.3 Borderline-Störung – eine Folge intergenerationeller Traumatisierung
    Misshandlungen und mangelnder Schutz durch die Mütter rufen schwere Störungen in den Kindern hervor, so die Arbeitsgruppe um die amerikanische Forscherin Jennifer Freyd (Kaehler & Freyd 2011).
    Je massiver der Bindungsverrat (Trauma durch nahe Bindungspersonen), desto häufiger tauchen bei den Kindern Borderline-Störungen auf. Die Borderline-Störung (BPD), gekennzeichnet durch intensive, aber flüchtige zwischenmenschliche Beziehungen, Identitäts-Unsicherheit, massive und leidvolle Gefühlsschwankungen und einen Mangel an Impulskontrolle, ist die häufigste Persönlichkeitsstörung. Sie betrifft laut internationalem Diagnosehandbuch DSM IV-TR etwa 2 % der Gesamtbevölkerung sowie 10 % der ambulanten und 15–20 % der stationären PsychiatriepatientInnen. Dabei taucht ein interessanter

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