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Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)

Titel: Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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hatten, waren es mehr als 75 %. Die Unterregulation von Affekten war bei denjenigen stärker, die emotional missbräuchlich behandelt bzw. im Alter von 0 bis 6 Jahren gequält worden waren. Die Überregulation trat nach körperlichen Traumatisierungen besonders häufig auf und hatte eher somatoforme Konsequenzen.
    Zu wenig emotional Fühlen kann sich also in vermehrten körperlichen Symptomen äußern, während eine Unterregulation von Emotionszentren eher zu Borderline-Symptomen führt, die mit Gefühlsstürmen, Impulsivität und Selbstverletzungen einhergehen. Wer sowohl eine Borderline- als auch eine somatoforme Störung hatte, kannte beide Formen: „abgeschaltet“ zu sein – und überflutet mit Gefühlszuständen.
    Je häufiger und je früher ein Kind traumatisiert wurde, je mehr sexualisierte Gewalt eine Rolle spielte, desto mehr wird das Kind im Laufe seines Lebens Reaktionen ausprägen, die auf eine Vermeidung von Stresswahrnehmung („Wieso, da ist doch gar nichts.“) und Stresserinnerung („Wieso, da war doch gar nichts.“) hinauslaufen (Briere, Hodges & Godbout, 2010). Die Schweizer Psychoanalytikerin Alice Miller hat dies schon vor vielen Jahren als „Du sollst nicht merken“ (1983) beschrieben. Das gequälte Kind wird sich häufig „wegträumen“, wird sich benommen, ganz weit weg, wie betäubt fühlen. Es wird Zustände produzieren, die es von seinem Leid ablenken. Es wird später dazu neigen, psychisch wirksame Substanzen zu missbrauchen (Alkohol, Drogen, Medikamente ...); es wird immer wieder in todessehnsüchtigen Gedanken kreisen, alle möglichen inneren Zustände werden auf- und abtauchen (Dissoziation); und mit der Zeit werden Ablenkungen immer wichtiger. Ablenkungen, die umso gewalttätiger werden, je mehr schreckliche Erfahrungen weggedrängt werden müssen. Dann wird es zu Selbstschädigungen kommen – erst Nägelkauen, Haare ausreißen, den Kopf gegen die Wand schlagen, dann sich verbrühen, verbrennen, ritzen, schneiden, die Nähe von gefährlichen Menschen suchen und mit ihnen verwickelt sein im Guten wie im Schlechten. Diese massiven posttraumatischen Symptome der Selbstverletzung finden Forscher vor allem bei Frauen. Der Grund: Frauen sind weitaus mehr als Männer zwischenmenschlicher Gewalt ausgesetzt, besonders von nahestehenden Menschen ausgehender Gewalt, und darunter vor allem sexueller Gewalt (s. Breslau 2002). Jungen hingegen werden vor allem körperlich misshandelt, wobei die Zahl der sexuell misshandelten Jungen vermutlich unterschätzt wird, weil so wenige von ihnen in Psychotherapie gehen; die meisten werden eher durch dissoziales und Suchtverhalten auffällig.
    Alles Ablenken und Sich-Distanzieren bis hin zum Nicht-mehr-Wissen des früheren Leides wirkt ablenkend, aber es führt leider auch zu neuem Leid. Was das bedeutet, wenn eine junge Frau dann schwanger wird und ein Kind bekommt, kann man sich unschwer vorstellen: Eine Belastung für sie selbst (sexuell traumatisierte Frauen werden durch Schwangerschaft und den Geburtsvorgang häufig daran erinnert, was „da unten“ stattgefunden hat, bekommen also z. B. häufig Flashbacks unter der Geburt), und eine Belastung für das Kind, das eine so ambivalente Mutter hat. Ist auch der Vater ein ehemals traumatisierter Junge, so wird er in Krisen eher aufbrausend reagieren, während sie wie gleichgültig oder „jammernd“ wirkt – aber sich durchaus auch handfest wehrt und sogar, wie einige Studien sagen (Archer 2000, Clift & Dutton 2011), genauso oft – wie bei Männern sonst üblich – auch massivere Gewalt anwendet.
    6.5 Täterinnen
    Die Täterinnen in (vor-)ehelichen Beziehungsstreitigkeiten, die durchaus physisch angreifen (Clift & Dutton 2011), sind dabei typischerweise diejenigen, die
selbst Gewalt erlitten haben,
von ihren Eltern abgelehnt wurden,
eher aufgebracht als gelähmt sind unter Stress und
eher eine Borderline-Persönlichkeitsstörung haben.
    Es ist ein Tabu, dass Frauen gewalttätig in heterosexuellen Partnerschaften reagieren, aber es ist sehr wichtig, diese Studien zur Kenntnis zu nehmen! Denn wenn die Frauen sich schon mit ihren Partnern gewalttätig auseinandersetzen – wie werden sie erst mit ihren Kindern umgehen?! Viele schlagen (schätzungsweise zwei Drittel der selbst körperlich misshandelten Frauen schlagen ihre Kinder), viele geben die erlittenen seelischen Demütigungen an die nächste Generation weiter. Ein Tabu bislang ist das Thema der sexuellen Misshandlung durch

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