Der Feind im Innern: Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt? (German Edition)
dass sie nachdenkt, wie sie bloß darauf gekommen ist, etwas zu sagen, das so irritierend wirkt auf Sie. Und dann fragt sie: „Könnten Sie mir mehr dazu erzählen? – Und danke für Ihr Vertrauen, dass Sie mir das überhaupt gesagt haben, was Sie so irritiert hat.“ Mit anderen Worten: Irgendwo ist eine KollegIn, die zwar auch nicht perfekt ist – so jemand gibt es nicht –, aber die nicht narzisstisch gekränkt ist, wenn Sie Vorschläge von ihr ablehnen oder Äußerungen infrage stellen oder ihr Ihre zerstörerischen Anteile zeigen. Die keine Angst hat vor Ihnen, vor Ihren ungewöhnlichen, sie quälenden, aber auch ihren originellen und einfach einmaligen Seiten; sondern die sich freut, dass Sie bereit sind, sie ihr zu zeigen. Die vor allem freundlich und verlässlich an Ihrer Seite sein und sie am Ärmel zupfen will (im übertragenen Sinne): „Kommen Sie, Sie können da raus, wo Sie es gerade so aussichtslos finden. Dooooch, wir schauen uns das an, nur Mut!“ Und dann schaut sie mit Ihnen, und dann merken Sie, wie viele gute Ideen aus Ihrem Innern alle guten Vorschläge, die Sie von der Therapeutin akzeptieren können, ergänzen könnten. Sie merken, dass alles da ist, aber dass es nur geht, das zusammenzubekommen, wenn außen jemand dabei hilft, ohne etwas zu verurteilen. Eine Person, die Sie als Autorität akzeptieren können, aber die Sie – und die sich – immer wieder infrage stellt.
Ja, so jemanden gibt es. Und zwar gar nicht so selten. Diese KollegIn wird versuchen, mit jeder einzelnen KlientIn so sorgsam zu sein. Und dann muss sie versuchen, nicht auszubrennen, wenn sich die Erfolge nicht sofort einstellen, wenn es dauert, wenn es Rückschläge gibt, wenn die Krankenkasse nicht mehr zahlen will, wenn ... Ach, das kennen Sie ja.
So, jetzt haben wir beide tief geseufzt, gell? Hm, ich gebe Ihnen mal weitere Adressen, vielleicht müssen Sie doch ein wenig fahren? Hier noch ein paar Ideen (Anm. MH: und dann habe ich ihr noch eine Liste weiterer KollegInnen angehängt).
Bitte informieren Sie mich weiter, ich höre zu und hoffe inständig, dass es Ihnen vergönnt sein möge, bald jemand Gutes zu finden. Und darf ich Ihre E-Mail – natürlich anonymisiert – in meinem Buch verwenden?
Hier die Antwort:
Danke!!! Ich bin tief berührt von Ihrer prompten, tröstlichen, liebevollen, hilfreichen Reaktion!
Diese Botschaften kommen bei mir an:
Sie signalisieren, dass Sie mich annehmen.
Sie vertrauen, dass ich auch so, wie ich bin, Hilfe bekommen kann, ja werde. Sie weisen mich darauf hin, dass ich auch innerhalb einer Therapie Irritationen erleben kann, und zwar ohne dass mein therapeutisches Gegenüber mich ablehnt – sei es, dass ich versehentlich getriggert worden bin, sei es, dass ich bewusst herausgefordert wurde, damit ich lerne. (Das tut dann schon weh, aber lässt sich klären und auch nicht vermeiden, wenn ich mich verändern und weiterkommen will.)
Sie lassen mich hoffen, dass ich jemanden finden könnte, der ohne Angst vor meinen originellen Seiten ist. So hätte ich vielleicht sogar die Chance, stummen oder wenig beredten Teilen von mir eine Stimme zu geben – indem ich Bilder zeigen darf oder meinen selbst gedrehten Film.
Und Sie lassen mich hoffen, dass ich jemanden finden könnte, der bereit ist, mich mit Geduld und Einfühlung zu begleiten, damit ich es schaffe, mit gefürchteten Teilen meines Ichs in Kontakt zu kommen, deren Potenzial schätzen zu lernen und lebbar zu machen.
Danke für die Namen und detaillierten Adressen von Traumatherapeutinnen!
Danke für Ihre Fürsorge und Ihr Interesse, Weiteres über meine Suche zu hören!
Und ich bin einverstanden damit, dass Sie meine Mail und meinen Brief für Ihr Buch verwenden. Wenn ich zum Thema etwas beitragen kann, freue ich mich.
Mit herzlichen Grüßen
Ist es nicht eine wirkliche Schande für unseren Berufsstand und diese Gesellschaft, dass diese so hoch motivierte, offenbar auch sehr intelligente und immer noch berufstätige, aber sehr verzweifelte Frau so lange nach angemessener Unterstützung suchen muss?
12.1 Die Beziehung zur TherapeutIn
Ja, es ist ein Elend: Nur ein kleiner Bruchteil der so ernsthaft verletzten und sich selbst und andere (potenziell) verletzenden Menschen bekommt die Chance, in einer Psychotherapie oder auch nur in einer stationären oder beraterisch verlässlichen Helfersituation zu lernen. Viele machen auf ihrer Odyssee hier und da mal die Erfahrung, dass da jemand für sie Gutes ist, sie beginnen
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