Der Feind meines Vaters - Roman
Gasthofs in Castillo de Locubín habe gegen halb sechs beim Abräumen der Tische einen mit einem Stein beschwerten 200-Peseten-Schein gefunden, auf dem mit Kugelschreiber, damit man es nicht ausradieren konnte, ein Satz stand, der in der ganzen Provinz von Jaén berühmt war. »So zahlt Cencerro.«
»Aber Pepe, Cencerro ist tot, das weißt du doch.«
»Tot? Von wegen tot …« Obwohl wir allein waren und niemand uns hörte, blickte ich mich um. Das konnte nicht sein Ernst sein. »Hast du denn nicht mitbekommen, dass er vorgestern eine Straßensperre errichtet und genügend Geld erbeutet hat, um gemütlich zu überwintern? Hat dir niemand erzählt, dass er schon wieder ein Trinkgeld in einer Kneipe seines Dorfes hinterlassen hat?«
»Das kann er nicht gewesen sein«, beharrte ich mit einem Nachdruck, der nur auf sicheren Tatsachen gründen kann, und eine davon ist unweigerlich der Tod.
»Natürlich war er es. Er hat den Geldschein unterschrieben, oder etwa nicht?« Erst da lachte er und fuhr dann fort, als wollte er mir einen Gefallen tun: »Cencerro ist viel mehr als ein Name, Nino, er ist ein Symbol. Tomás Villén Roldán ist tot, das weiß ich. Ich weiß genau wie du, dass er am 17. Juli in Valdepeñas Selbstmord begangen hat und man ihn in sein Dorf brachte, damit alle Bewohner seine Leiche sehen. Das ist wahr, aber nur das. Tomás Villén Roldán war Cencerro, aber jetzt ist Cencerro größer als er. Er wird so lange leben, wie es da oben in den Bergen jemanden gibt, der seinen Namen trägt. Und wie es aussieht, ist er vor zwei Tagen von den Toten wiederauferstanden.«
»Man könnte fast meinen, dass du dich freust.«
»Ich?« Er tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Brust und sah mich an, mit hochgezogenen Brauen, die an zwei Fragezeichen erinnerten. »Wie könnte ich mich über so etwas freuen, mit allem, was uns jetzt blüht?«
Da hatte er recht, trotzdem war ich mir bei ihm nie sicher. Pepe, der Portugiese, war der eigenartigste Mensch, den ich kannte, obwohl um mich herum niemand dies zu bemerken schien. Anfangs hielt ich ihn tatsächlich für einen Portugiesen, weil der Name seines Dorfes, Torreperogil, so seltsam klang, bis Vater mich aufklärte, nein, wenn ich darüber nachdächte, müsste ich erkennen, dass es sich um Torre de Pedro Gil handelte, einen Ort in der Provinz von Jaén, so wie unser Dorf auch, allerdings nördlich von Úbeda. Abgesehen von den Männern der Guardia Civil und dem Lehrer, die sich nicht aussuchen konnten, wohin sie entsandt wurden, machte ihn allein diese Entfernung zum einzigen Fremden in Fuensanta de Martos. Doch das war nicht der Grund, warum er so eigenartig war.
»Wieso nennt man dich den Portugiesen?«, fragte ich ihn einmal, als wir allein waren.
»Tja! Das weiß ich auch nicht. Es ist der Spitzname meiner Familie. Es heißt, mein Großvater hätte auf einem Dorffest ein portugiesisches Mädchen zum Tanz aufgefordert, das in Begleitung eines Besuchers war. Vielleicht war aber auch er der Portugiese, wer weiß, ich kann mich nicht erinnern. Dem Fremden passte das natürlich gar nicht, es kam zum Streit, und anschließend hatte mein Großvater seinen Spitznamen weg.«
»Dann weißt du es also doch«, wandte ich überrascht ein.
»Nein.« Er hielt inne, sah mich an und lachte auf seine übliche Art – es klang wie ein unvermitteltes Trillern. »Ich weiß nur, was die Leute erzählen, und das ist nicht immer wahr.«
Pepe hatte viel von der Welt gesehen. Er war zwar nie in Portugal gewesen, dafür aber in Frankreich, Madrid, Valencia, Barcelona und sogar in Marokko. Er war oft am Meer gewesen, sprach aber nicht gern darüber, weil er meinte, alle Orte seien gleich. Ich wusste, dass er unrecht hatte, widersprach ihm aber nicht. Wenn er erklärte, dass er über etwas nicht reden wollte, bekam man kein Wort mehr aus ihm heraus. Das hatte ich sehr schnell begriffen, schon an dem Tag, an dem ich ihn kennenlernte.
»Hände hoch!«
Paquito und ich saßen am Flussufer und hielten die Füße ins Wasser. Wir beide waren nach der Corpus-Christi-Prozession zu Fuß hierhergekommen, weil an diesem Tag die Schule ausfiel und es zur Abwechslung mal sehr heiß war. Die verlassene alte Mühle gehörte zu unseren Lieblingsorten. Doña Mariamandil, die Besitzerin und eine der reichsten Dorfbewohnerinnen, lebte in einem abgelegenen Landgut etwas weiter oben und hatte sich nie darum gekümmert, einen Pächter zu finden, weil sie das Geld nicht brauchte. Ein steiler Weg führte vom
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