Der Feind
wissen.
Kennedy hätte einiges über den Mann erzählen können. Im Moment interessierte sie sich jedoch mehr dafür, wie Ross über ihn dachte. »Nun, ich weiß ein paar Dinge über ihn. Was halten Sie von ihm?«
»Der Weg zum Frieden führt über ihre religiösen Führer, und über ihn kommt man an diese Geistlichen heran. Er ist der Schlüssel«, betonte Ross überzeugt. »Ich habe ihn persönlich gebeten, an diesem Besuch teilzunehmen. Ich habe ihm gesagt, dass ich einen ehrlichen Dialog darüber eröffnen möchte, wie sich unsere beiden großen Nationen besser verstehen können.«
Kennedy nickte. Seine hehren Worte wären durchaus angemessen gewesen, wenn sie etwa aus dem Außenministerium gekommen wären – doch Ross war der Direktor der National Intelligence, der dafür da war, geheime Informationen zu sammeln. Es war nicht seine Aufgabe, nach eigenem Gutdünken Beziehungen zu Vertretern anderer Staaten zu knüpfen, vor allem wenn es sich um jemanden handelte, der bekannt dafür war, Terroristen zu unterstützen. Irene Kennedy verstand durchaus, dass es notwendig war, auch Beziehungen zu feindlich gesinnten Personen zu unterhalten. Sie wollte ebenfalls sehr gerne mehr über Prinz Muhammad bin Rashid erfahren, aber nicht so, wie es Ross vorschwebte. Sie wollte den Mann studieren – etwa in der Art, wie ein FBI-Profiler das psychologische Profil eines Serienkillers erstellte.
Dieser Rashid war ein unheilbarer Heuchler, und dass Ross das nicht längst wusste, war doch ein bisschen beunruhigend. Schließlich war er der oberste Berater des Präsidenten, was Geheimdienstangelegenheiten sowie die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus anging. Wenn ihr Arbeitsverhältnis etwas besser gewesen wäre, hätte sie sich die Zeit genommen, ihm zu erklären, warum man Muhammad bin Rashid nicht trauen konnte, aber im Moment wäre das reine Zeitverschwendung gewesen. Ross würde bestimmt nicht hören wollen, warum sein Plan nicht aufgehen konnte. Er würde den Prinzen etwas besser kennenlernen müssen, damit er von selbst draufkam. Bis dahin würde Irene Kennedy achtgeben müssen, dass er nichts preisgab und keine Versprechungen machte, die das prekäre Gleichgewicht gefährden konnten, das sie mit den Saudis aufrechtzuerhalten versuchten.
»Irene«, sagte Ross, während er Prinz Muhammad beobachtete, »er ist in mancher Hinsicht der mächtigste Mann in Saudi-Arabien.«
»Da haben Sie wahrscheinlich recht«, räumte sie widerwillig ein. »Und das ist eine Schande«, fügte sie leise hinzu. Ross war ohnehin zu beschäftigt damit, die arabischen Gäste zu beobachten, als dass er sie gehört hätte, aber Jonathan Gordon lachte leise. Kennedy wandte sich ihm zu.
»Prinz Muhammad sieht mir nicht wie jemand aus, der bereit wäre, sich zu ändern«, stellte sie fest.
Ross ging weg, um ein paar Leuten, die er erblickt hatte, die Hände zu schütteln.
»Er ist ein eingefleischter Wahabi. Ein Wort wie Veränderung kommt in seinem Wortschatz nicht vor.«
»Das habe ich ihm auch schon gesagt«, räumte Gordon ein, »aber er denkt, dass er mit seiner Persönlichkeit jeden überzeugen kann.«
Irene Kennedy kannte diesen Typ. Die populärsten Politiker waren alle so. Sie glaubten fest an ihre Gabe, die Menschen überzeugen zu können. Wenn sie irgendein Café oder einen anderen öffentlichen Ort betraten, schüttelten sie möglichst allen Anwesenden lächelnd die Hand. Sie merkten sich eine Unmenge von Namen und zeigten sich stets von ihrer sympathischsten Seite. Solche Politiker waren kompromissbereit und flexibel – doch auf der internationalen Bühne wurden sie gnadenlos über den Tisch gezogen. Neville Chamberlain, der britische Premierminister in der Zeit, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war ein typisches Beispiel für einen solchen Politiker. Er traf sich mit Hitler, plauderte mit ihm und kam zu dem Schluss, dass man dem Mann trauen konnte, obwohl die Informationen, die der britische Geheimdienst gesammelt hatte, das Gegenteil belegten. Hitler hielt Chamberlain zum Narren, marschierte in aller Ruhe in der Tschechoslowakei und Polen ein und griff schließlich auch noch Frankreich an. Irgendwie hatte Hitler es geschafft, dem unwiderstehlichen Charme Chamberlains zu widerstehen.
Irene Kennedy hatte sich nach dem Anschlag vom elften September mit Prinz Muhammad beschäftigt. Ihr Stationschef in Riad war zum selben Schluss über den Mann gekommen wie Kennedys Amtskollegen in Großbritannien, Deutschland,
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