Der Feind
pünktlich zu sein.
Ross stand nun bei Außenministerin Berg und küsste sie auf die Wange. Wenige Minuten später erspähte er Irene Kennedy und winkte sie zu sich.
Die CIA-Direktorin entschuldigte sich und arbeitete sich durch die Menge. »Frau Außenminister«, sagte sie und streckte ihr die Hand entgegen. »Wie geht’s?«
»Gut, Irene, und Ihnen?«
»Gut, danke«, antwortete Kennedy. Sie und die Außenministerin waren weltanschaulich oft unterschiedlicher Ansicht, doch sie hatten trotz allem ein gutes Arbeitsverhältnis.
»Ich habe nicht erwartet, Sie hier zu sehen«, sagte Ross und hielt sich für sehr witzig.
»Ich dachte mir, ich schau einfach mal vorbei«, erwiderte Kennedy mit einem angedeuteten Lächeln.
»Es freut mich, dass Sie gekommen sind«, versicherte die Außenministerin und drückte Irenes Arm.
Kennedy wusste genau, was sie meinte. Als Frau fühlte man sich in der Gesellschaft der Saudis mitunter nicht sehr wohl. Die alte Garde der arabischen Männer fand, dass der Platz einer Frau zu Hause war und dass sie sich um die Kinder und den Haushalt kümmern sollte. Es galt als unschicklich, einer Frau in die Augen zu schauen oder sie direkt anzusprechen. Diese Einstellung führte zwangsläufig zu peinlichen Momenten, wenn mächtige Frauen wie Berg und Kennedy mit einer ausschließlich männlichen Delegation von Saudis zusammentrafen. In den über zwanzig Jahren, die Irene Kennedy nun im Geheimdienst tätig war, hatte sich einiges zum Besseren verändert. Die nächste Generation von Saudis, die an europäischen und amerikanischen Universitäten ausgebildet worden waren, akzeptierten bereits, dass Frauen auch andere Rollen in der Gesellschaft übernahmen; zumindest gaben sie es vor, wenn sie mit ausländischen Regierungen zu tun hatten. Daheim in Saudi-Arabien hielt man die scharfe Trennung zwischen den Geschlechtern nach wie vor aufrecht.
Einer von Minister Bergs Assistenten trat zu ihr und teilte ihr mit, dass der saudische Außenminister das Haus betreten hatte. Berg entschuldigte sich, um ihren Platz in der Empfangszeremonie einzunehmen. Ross nahm Kennedy am Ellbogen und zeigte auf die gegenüberliegende Ecke des Saales. Sie schlängelte sich durch die Menge, dicht gefolgt von Ross’ Leibwächtern. Kennedy stellte sich vor, wie lächerlich dieser Sicherheitsaufwand wirken musste, und war erleichtert, als Ross dem Führer der Gruppe signalisierte, dass er ihn nicht mehr brauche.
Ross stand mit dem Rücken zum Saal, als Jonathan Gordon auftauchte und an die Seite seines Chefs trat. Ross glättete mit der rechten Hand seine hellblau und silber gestreifte Krawatte und legte die Hände an die Lippen. Der Direktor der National Intelligence neigte den Kopf zur Seite, so als wolle er etwas sagen, hielt dann aber inne.
Irene Kennedy konnte sich gut vorstellen, was ihm im Kopf herumging. »Mark«, sagte sie schließlich, »was da neulich zwischen Ihnen und Mitch vorgefallen ist …«
Ross ließ sie nicht ausreden. »Sie brauchen kein Wort zu sagen. Das ist Schnee von gestern.«
Kennedy sah Gordon an, dessen Gesichtsausdruck etwas anderes sagte. »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass das nicht meine Art ist«, versicherte sie. »Wenn einer von meinen Leuten ein Problem mit Ihnen hat, erwarte ich, dass er zuerst zu mir kommt. Mitch ist hinter meinem Rücken zu Ihnen gegangen, und darüber bin ich nicht erfreut.«
Ross überlegte kurz, was er antworten sollte. »Ich weiß, dass Mitch viel für dieses Land geleistet hat, aber es gibt viele hier, die fürchten, dass er viel zu eigenmächtig handelt. Dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er einmal etwas macht, was die Agency in eine wirklich peinliche Lage bringen könnte. Und das wollen wir beide nicht.«
»Nein, gewiss nicht«, pflichtete sie ihm aufrichtig bei.
»Dann würde ich vorschlagen, dass Sie ihn an die kurze Leine nehmen.«
Kennedy nickte. Sie konnte Ross nicht gut sagen, dass es in Washington genauso viele gab, die Rapp einen größeren Handlungsspielraum geben wollten.
»Und dieser Coleman«, fügte er hinzu. »Der Typ riecht förmlich nach Ärger.«
Kennedy sagte nichts.
»Ich werde mich bemühen«, fuhr Ross fort, »mich nicht in das Alltagsgeschäft der Agency einzumischen. Ich habe großes Vertrauen zu Ihnen, Sie haben Ihre Sache bisher hervorragend gemacht, aber ich frage mich, ob Sie da nicht einen blinden Fleck haben, was Rapp betrifft. Ich habe auch schon mit dem Präsidenten darüber gesprochen, und er teilt meine
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