Der Feind
sagen dem Präsidenten, was zu geschehen hat, und es stehen offenbar noch andere Regierungsmitglieder hinter ihnen. Sie lassen ihm keinen Handlungsspielraum. Er hat fast keine andere Wahl, als ihrer Empfehlung zu folgen.«
Irene Kennedy hatte ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube, und sie machte sich Vorwürfe, dass sie nicht selbst vorher mit dem Präsidenten gesprochen hatte. »Ich weiß nicht, ob ich in diesem Fall einfach nur dasitzen und zu allem ja sagen kann.«
»Wissen Sie, was eine Ripptide ist?«
»Ja … und?«
»Na ja, wenn man in einen solchen Wasserberg gerät, hat man keine Chance, wenn man dagegen ankämpft, sondern nur, wenn man sich mittragen lässt und dann im richtigen Moment parallel zur Küste schwimmt.«
»Sie wollen mir also raten, dass ich mich heute einfach nur treiben lasse?«
»Nicht ganz. Ich glaube, der Präsident wäre enttäuscht, wenn Sie nicht auf das Offensichtliche hinweisen würden, bevor Sie schließlich nachgeben.«
»Und was gewinne ich damit?«
Die Tür zum privaten Esszimmer des Präsidenten ging auf, und man hörte Stimmen hereindringen. »Gehen Sie nach dieser Sitzung hinunter in den Situation Room. Der Präsident möchte allein mit Ihnen sprechen«, fügte Haik rasch hinzu.
Der Präsident trat als Erster ein. Kennedy und Haik erhoben sich. Präsident Hayes war einen Meter fünfundachtzig groß, und sein Haar war nach drei Jahren in diesem Amt sichtlich ergraut. Er schritt quer durch den Raum und breitete die Arme aus. »Irene, es tut mir so leid«, sagte er und umarmte sie freundschaftlich. »Ich weiß, wie nahe sie den beiden gestanden haben.«
Irene Kennedy blieb gefasst. »Danke, Mr. President.«
Der Präsident ließ sie los und fragte: »Wie geht es Mitch?«
»Er braucht jetzt vor allem Ruhe.«
Hayes sah sie einige Augenblicke schweigend an, so als versuche er sich vorzustellen, was gerade in Rapp vorgehen mochte. »Das ist eine solche Tragödie.« Er schüttelte den Kopf und bat die Anwesenden mit einer Geste, sich zu setzen. Haik und Kennedy nahmen auf der einen Couch Platz, während sich Außenministerin Berg, Justizminister Stokes und der Direktor der National Intelligence Ross auf die Couch gegenüber setzten. Vor dem Kamin standen zwei Sessel. Der Präsident nahm auf dem einen Platz, der Vizepräsident auf dem anderen. Präsident Hayes wandte sich schließlich an Irene Kennedy. »Haben Sie irgendetwas herausgefunden, seit wir uns gestern unterhalten haben?«, wollte er wissen.
»Eigentlich nicht, Sir.«
»Sind Sie immer noch der Ansicht, dass das ein Attentat war?«
»Ja, Sir, das glaube ich.«
»Irene«, meldete sich Direktor Ross zu Wort und beugte sich vor. »Ich glaube, wir müssen uns darüber unterhalten. Mir ist durchaus bewusst, wie schwer das für Sie sein muss. Sie waren Rapp und seiner Frau immer sehr verbunden, und Sie dürfen auch nicht denken, dass wir Ihre Meinung nicht respektieren, aber …«, Ross wand sich auf seinem Platz, so als bemühe er sich, es möglichst schonend auszudrücken, »wir teilen Ihre Ansicht nicht, dass hier ein Auftragskiller am Werk war.«
Sie schaute mit ihren braunen Augen durch ihn hindurch. In nicht einmal vierundzwanzig Stunden war alles anders geworden. Noch vor einem Tag war sie bereit gewesen, über die Unzulänglichkeiten des Mannes hinwegzusehen, aber nun spürte sie, wie blanker Hass in ihr hochkam. Es kostete sie große Beherrschung, das Offensichtliche nicht laut hinauszuschreien – nämlich dass Ross fast keine Erfahrung in seinem gegenwärtigen Amt hatte.
»Wir haben heute Morgen einen Bericht des FBI bekommen«, fuhr Ross fort, »und wir finden, dass es nicht genug Hinweise gibt, die Ihre Theorie stützen würden.«
Irene Kennedy nickte. »Haben Sie mit Special Agent McMahon gesprochen?«
Ross wandte sich Justizminister Stokes zu.
Stokes übernahm es, Kennedys Frage zu beantworten. »Nein. Wie Sie wissen, ist Direktor Roach gerade auf einer Auslandsreise, deshalb haben wir den Bericht von Deputy Director Finn bekommen.«
»War Mr. Finn am Tatort?«
»Nein«, antwortete Stokes brüsk.
»Irene«, warf Ross ein, »wie sind die Medien auf die Idee gekommen, dass Mitch tot wäre?«
In beiden Washingtoner Zeitungen war zu lesen, dass Rapp und seine Frau bei einer Gasexplosion ums Leben gekommen seien, und die Fernsehsender berichteten das Gleiche. Ohne einen Hauch von schlechtem Gewissen blickte ihm Kennedy in die Augen und antwortete: »Ich habe keine Ahnung.«
»Wo ist er
Weitere Kostenlose Bücher