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Der Feind

Titel: Der Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vince Flynn
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Medien. Die öde Propagandamaschinerie, die schon George Orwell in seinem großartigen Roman 1984 vorhergesehen hatte, lief Tag für Tag über Fernsehen, Radio und die Zeitungen. Abel erkannte den Wandel, den der Aufstieg der Informationstechnologie mit sich bringen würde. Es war ihm klar, dass die DDR-Regierung ihr Medienmonopol und damit die Kontrolle über die Gedanken der Menschen verlieren würde. Ein Jahr vor dem Fall der Mauer beschäftigte sich der junge Agent bereits intensiv mit dem Thema der Wiedervereinigung.
    Gut fünfzehn Jahre später hatte Abel das gleiche Gefühl, wenn er nach Saudi-Arabien kam. Hier lag eine grundlegende Veränderung in der Luft, die ebenfalls nicht aufzuhalten war. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann es so weit sein würde. Schon allein die extrem ungleiche Verteilung des Wohlstands trieb das Land auf eine Explosion zu. Wenn man dann noch die aufgeheizte religiöse Atmosphäre in Betracht zog, so stand für Abel fest, dass in Saudi-Arabien extreme Unruhen bevorstanden.
    Eine solche Entwicklung würde die gesamte Weltwirtschaft in ihren Grundfesten erschüttern. Die meisten Menschen empfanden Veränderung als etwas Unangenehmes – doch Abel sah in einem solchen Prozess stets die Chancen. Er hatte in seinem Leben schon Millionen verdient, doch jetzt, mit siebenundvierzig, hatte er weitreichendere Pläne. Er stand mit großen multinationalen Konzernen in Kontakt, mit Banken und sogar mit einigen Regierungen, die allesamt auf seinen Rat und seine Warnungen hörten. Sie bezahlten ihn angemessen für seine Dienste, doch für einen Mann wie Abel war das nicht genug. Als echter Deutscher glaubte er fest daran, dass man, um wahre Selbstverwirklichung zu erreichen, stets nach größtmöglicher Effizienz und Perfektion streben musste. Er hatte in alle seine Beraterverträge Klauseln eingebaut, die ihm hohe Prämien sicherten, wenn seine Vorhersagen eintrafen. Einige dieser Verträge würden im nächsten Jahr auslaufen, und Abel hatte wenig Lust, zwar recht zu behalten, aber keinen Nutzen daraus ziehen zu können. Die Umwälzungen würden mit Sicherheit eintreten, also galt es, davon zu profitieren.
    Abel blieb vor dem einförmigen, fünf Stockwerke hohen Gebäude stehen, in dem das Telekommunikationsunternehmen seinen Sitz hatte, dessen Inhaber er sprechen musste. Nachdem er selbst in Leipzig aufgewachsen war, einer Stadt, die für ihre Renaissance-Architektur berühmt war, beeindruckte ihn der mächtige Bau ganz und gar nicht. Der Ex-Spion bemühte sich wirklich, sich die arabische Kultur zu eigen zu machen – aber in der Architektur des Landes konnte er einfach nichts von bleibendem Wert erkennen.
    Er meldete sich bei dem Mann am Empfang an, der ihn höflich aufforderte zu warten. Keine dreißig Sekunden später kam ein sehr beflissen wirkender Mann aus dem Aufzug und eilte mit steifen Schritten durch die Lobby. Der Mann streckte ihm die Hand entgegen und stellte sich auf Englisch als einer der Vizepräsidenten des Unternehmens vor.
    Abel wusste genau, wie es in arabischen Firmen zuging, und ließ sich deshalb von dem hochtrabenden Titel des Mannes nicht beeindrucken. Ein Unternehmen von dieser Größe hatte bestimmt Dutzende, wenn nicht Hunderte von Vizepräsidenten, die alle in irgendeiner Weise mit dem Chef, Saeed Ahmed Abdullah, verwandt waren. Sie kassierten alle üppige Gehälter, saßen in großzügig ausgestatteten Büros und kamen ansonsten – mit Ausnahme von einigen wenigen fähigen Mitgliedern des Clans – den westlichen Beratern, die die täglichen Geschäfte der Firma regelten, nicht weiter in die Quere. Abel folgte dem Mann in den Aufzug und fuhr in das oberste Stockwerk hinauf, wo er durch mehrere vergoldete Türen trat, bis er schließlich in einen Raum geleitet wurde, der ganz von arabischer Männlichkeit geprägt war.
    Die mahagonigetäfelten Wände waren mit den Köpfen exotischer Tiere geschmückt. Aus der Mitte des Raumes starrte ihn ein Leopard mit seinen Glasaugen an. Das Tier strahlte auch im Tod die ganze Wildheit aus, die in ihm gesteckt hatte, indem es seine scharfen Zähne bleckte. Über dem Granitsims eines Kamins, in dem, wie Abel vermutete, nie ein Feuer brannte, hing ein großes Ölgemälde, auf dem eine Wüstenlandschaft zu sehen war. Der ganze Raum sollte wohl Kraft und Männlichkeit vermitteln. Abel wusste jedoch nicht, wie er diese Einrichtung deuten sollte; manche dieser arabischen Männer wollten damit ihre Position in der Hackordnung zum

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