Der Feind
Tayyib hatte sein ganzes Gewicht auf das rechte Bein verlagert, als ihn das gestreckte Bein des Gegners traf, und sein Knie klappte zusammen wie ein billiger Regenschirm im Sturm. Tayyib ging zu Boden, und als er den Kopf hob, war sein Bein bis zum Knie gerade, doch der Unterschenkel stand fast im rechten Winkel zur Seite ab. Noch ehe der Schmerz einsetzte, wusste Tayyib, dass seine Fußballkarriere vorbei war.
Als er nun über den breiten, luxuriös geschmückten Flur zu Prinz Muhammads Büro schritt, hatte er das gleiche Gefühl wie an jenem Tag. Das Ganze war nicht seine Idee gewesen, doch das spielte keine Rolle. Er glaubte an Prinz Muhammad. Er vertraute auf die Vision des Mannes, den Islam unter dem Banner der Wahabis weiterzuverbreiten. Ihre Religion war ständigen Attacken des Westens ausgesetzt. Um den Islam zu schützen, mussten sie in die Offensive gehen und die Südküsten Europas zurückgewinnen, um so eine Pufferzone zu schaffen. Er glaubte so fest an diese Sache, dass er vorhatte, seinen Rücktritt anzubieten. Tayyibs Karriere war vorbei. Er hatte einen Mann enttäuscht, den man nicht enttäuschen durfte.
Nachdem er an jenem Samstagabend die raketengetriebene Granate in das Sheriff-Büro geschossen hatte, war er nach Alexandria zurückgekehrt, um in der Nähe der Autowerkstatt zu warten. Er hatte 500000 Dollar im Kofferraum und hatte wohl noch nie so sehnsüchtig darauf gewartet, Geld übergeben zu können. Gegen elf Uhr abends erwartete er, die drei schwarzen Suburbans jeden Moment auftauchen zu sehen. Um 23:15 Uhr begann er sich Sorgen zu machen. Um 23:30 Uhr hielt er es kaum noch aus. Er wartete bis Mitternacht und rief das Telefon an, das er Castillo gegeben hatte. Es klingelte achtmal, dann schaltete sich die Mailbox ein. Tayyib startete den Wagen und fuhr weg. Auf dem Weg zur Botschaft wischte er das Handy ab, nahm die Batterie heraus und warf es aus dem Fenster.
In dieser Nacht machte er kein Auge zu. Er versuchte zu schlafen, doch es war zwecklos. Zwei mögliche Szenarien kehrten in seinen Gedanken immer wieder. Das erste war, dass Castillo und seine Männer mit den 500000 Dollar, die sie bereits bekommen hatten, abgehauen waren, um sich ein schönes Leben zu machen, und dass sie über den dummen Ausländer lachten, der ihnen eine so enorme Summe gegeben hatte. Das zweite Szenario war, dass sie versucht hatten, den Auftrag auszuführen, jedoch gescheitert waren. Je länger er darüber nachdachte, umso mehr wünschte er sich, sie wären mit dem Geld nach Las Vegas geflogen. Wenn man sie bei dem Versuch, Mitch Rapp zu töten, geschnappt hatte, konnte das ziemlich unangenehm werden. Tayyib bezweifelte, dass Castillo oder einer seiner Männer wusste, dass er Saudi war, doch die Amerikaner konnten die Verbindung herstellen, wenn sie herausfanden, dass diese Leute im Jahr zuvor einen Zeugen getötet hatten.
Die Sonntagszeitungen wurden um fünf Uhr früh an die Botschaft geliefert. Es wurde von keinem Vorfall in Virginia berichtet. Tayyib nahm an, dass die Zeitungen in Druck gegangen waren, bevor die Meldung hereinkam. Er drehte den Fernseher auf, um zu sehen, ob er auf diesem Weg etwas erfuhr. Um sieben Uhr morgens wurde von den Explosionen in Leesburg berichtet. Auch auf den anderen Sendern wurde kein anderer Vorfall erwähnt. Tayyib wandte sich dem Internet zu, doch auch hier erfuhr er nichts Neues.
Um 12:00 Uhr verfolgte er im Fernsehen die Pressekonferenz, die der Sheriff von Leesburg hielt, doch auch dabei wurde mit keinem Satz von einem Angriff auf ein Bundesgebäude gesprochen. Den ganzen Nachmittag über versuchte Tayyib verzweifelt, irgendetwas zu erfahren. Dreimal fuhr er an der Autowerkstatt vorbei – in der Erwartung, Polizeiwagen vor dem Haus zu sehen, doch es passierte absolut nichts. Er wertete das als sehr schlechtes Zeichen. Tayyib nahm schließlich den letzten Nonstop-Flug des Tages von Washington nach Riad.
Er hatte ein Erste-Klasse-Ticket, sodass er fast den gesamten Flug hindurch schlafen konnte. Um ein Uhr nachmittags kam er in Riad an. Er wollte Rashid nicht gegenübertreten, aber er wusste, dass es sein musste. Tayyib war kein Mann, der Verantwortung oder Schuld anderen zuschob. Ein Wagen samt Fahrer wartete auf ihn. Als er auf dem Rücksitz der Mercedes-Limousine saß, rief er in seinem Büro an, um zu erfahren, ob in den Medien irgendetwas Neues über die Vorfälle in Leesburg berichtet worden war. Es hatte sich nichts verändert, seit er aus Washington abgeflogen
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