Der Feind
war. Dafür hatte sich etwas anderes ereignet. Tayyib hörte aufmerksam zu und fragte dann den Mann am anderen Ende der Leitung, ob er sich völlig sicher sei. Der Mann bejahte. Tayyib legte auf, blickte aus dem Fenster des Mercedes und schloss die Augen. Er war nun eine gute halbe Stunde wieder in der Heimat, und die Situation war nun nicht mehr schlimm – sie war katastrophal. Der Wagen hielt schließlich vor dem Ministerium für Islamische Angelegenheiten an. Tayyib stieg aus und zog ein weißes Gewand über seinen Anzug.
Er fuhr mit dem Aufzug ins oberste Geschoss und trat in einen breiten Flur hinaus, der mit einem Fußboden aus Carrara-Marmor ausgelegt und von Alabasterpfeilern gesäumt war. Zu beiden Seiten der Pfeiler hing burgunderroter Stoff, sodass auf beiden Seiten des Flurs je vier Nischen gebildet wurden. In jeder dieser Nischen stand ein Schreibtisch, an dem ein Mann saß. Es arbeitete im ganzen Gebäude keine einzige Frau. Der Flur bildete so etwas wie das äußere Büro des Ministers.
Tayyib schritt den Flur hinunter, den Blick geradeaus gerichtet. Er sah keinen der Pförtner an, und sie machten keine Anstalten, ihn aufzuhalten. Vor dem letzten Schreibtisch blieb er schließlich stehen. »Ist der Minister allein?«, fragte er den Assistenten.
»Nein.«
»Sorgen Sie dafür, dass ich ihn allein sprechen kann«, befahl er dem Mann.
Der Assistent warf einen Blick auf den Terminkalender auf seinem Schreibtisch und zögerte.
Tayyib beugte sich mit seinen eins neunzig vor und legte seine großen Hände auf den Schreibtisch. »Das ist keine Bitte, sondern ein Befehl. Wenn nicht gerade der König da drin ist, würde ich vorschlagen, dass Sie das Büro räumen lassen, sonst sind Sie Ihren Posten los.«
Der Mann sprang auf und eilte ins Büro. Tayyib folgte ihm.
Das Büro maß etwa fünfundzwanzig mal fünfzehn Meter. Es war nirgends ein Schreibtisch zu sehen, nur Stühle, Couchen und Kissen. Rashid saß am anderen Ende des Raumes auf einem Sessel, der fast wie ein Thron wirkte. Fünf Männer, alle über siebzig, saßen auf drei Couchen rund um Rashid. Der Assistent eilte fast im Laufschritt zum Minister hinüber. Tayyib machte ihn sichtlich nervös.
Er trat zu Rashid und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Rashid nickte und teilte dann seinen Gästen mit, dass es ihm überaus leidtue, dass er das Treffen etwas früher beenden müsse. Die Männer standen auf und verließen im Schneckentempo den Raum. Tayyib stand etwas abseits und ballte immer wieder die Fäuste.
Als die Männer endlich draußen waren und die Tür zu war, verbeugte sich Tayyib tief. »Mein Prinz, ich entschuldige mich für die Störung«, sagte er.
Rashid musterte Tayyib aufmerksam. Er kannte den Mann jetzt seit elf Jahren. Tayyib hatte sich den Ruf erworben, seine Aufgaben auszuführen und zu schweigen. Es gab viele, die imstande waren, eine Aufgabe auszuführen, aber wenige, die nicht darüber sprachen. Tayyib war kein heiterer Mensch, aber er neigte auch nicht zu Melancholie, Wutausbrüchen oder irgendwelchen anderen nach außen gekehrten Emotionen. Er war ernst und gleichmütig, und genau das schätzte Rashid an ihm so sehr. Und weil er den Mann so gut kannte, machte ihm der Ausdruck auf Tayyibs Gesicht Sorgen. »Ich nehme an, die Dinge in Amerika sind nicht gut gelaufen.«
Tayyib blinzelte bei dem Gedanken an die Geschehnisse in Amerika, die für ihn bereits eine ferne Erinnerung waren. Er ließ sich auf ein Knie nieder, das Knie, das er sich einst so schwer verletzt hatte, und senkte den Kopf. »Es tut mir leid, aber ich habe sehr schlechte Neuigkeiten.«
Rashid forderte den Mann mit einem Kopfnicken auf weiterzusprechen.
»Auf dem Weg vom Flughafen hierher bekam ich einen Anruf von meinem Büro.« Tayyib hob den Kopf und blickte zum Prinzen auf. »Heute Mittag hat sich in Riad eine Explosion ereignet.«
»Wo?«, fragte Rashid.
»Vor dem Hauptsitz von Abdullahs Unternehmen.«
»Abdullahs Firmensitz«, murmelte Rashid schockiert. »Was für eine Explosion?«
»Ein Selbstmordattentäter.«
»Ein Selbstmordattentäter«, wiederholte Rashid verwirrt. Das Königreich exportierte zwar solche Attentäter in alle Welt, und gelegentlich wurde auch einer hier im Land aktiv – aber die Ziele waren stets westliche Einrichtungen, für gewöhnlich die der Amerikaner. »Wurde jemand getötet?«
»Ich fürchte, ja.« Tayyib senkte den Blick. »Saeed Ahmed Abdullah.«
Rashid war sprachlos, als er den Namen des Mannes hörte, mit dem er
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