Der feine Unterschied
fixierte. Wahnsinn.
Das Viertelfinale gegen Kroatien noch mehr Krimi. 0:0 nach regulärer Spielzeit, dann machen die Kroaten in der 119. Minute das 1:0. Keiner zweifelt mehr, dass Kroatien im Halbfinale steht. Aber Sekunden vor dem Schlusspfiff gleichen die Türken durch Semih Sentürk aus, ohne dass sie streng genommen eine Chance gehabt hätten. Aber sie wollten dieses Tor so sehr, mit allen Mitteln, und manchmal macht genau das den Unterschied aus. Im Elfmeterschießen verwandeln die Türken und die Kroaten nicht. So einfach ist Fußball. So kommt man ins Halbfinale einer Europameisterschaft.
Überragende Moral: da haben uns die Türken in diesem Moment etwas Entscheidendes voraus.
Es ändert nichts an der Tatsache, dass wir die stärkeren Spieler als die Türkei haben. Aber was sich in unseren Köpfen einnistet, ist nicht die Überzeugung, dass wir mit energischem, selbstbewussten Spiel die Türkei ausschalten können, sondern eine Angst, an einer lösbaren Aufgabe zu scheitern.
Das Spiel gegen die Türken findet in Basel statt. Das Basler Stadion ist elegant und klein, von denselben Architekten gebaut, die unsere fantastische Allianz-Arena geplant haben. Im ersten Augenblick sehe ich auf den Tribünen nur unzählige rote Fahnen. Das wird kein Heimspiel.
Ich spiele gleich am Anfang einen blöden Fehlpass, direkt in die Beine meines Vereinskollegen Hamit Altintop. Es bleibt nicht der einzige. Das Spiel ist erst ein paar Minuten alt, als von der Zuversicht, die wir uns gegen Portugal erarbeitet haben, gar nichts mehr übrig ist. Die Türkei ist stärker als wir, wacher, entschlossener. Sie gehen auf jeden Ball, total unkonventionell, und wir entwickeln keine Idee, wie wir unser Spiel aufbauen sollen.
Dazu kommt, wie oft in solchen Situationen, der Faktor Glück. Das Glück schlägt sich immer auf die Seite dessen, der es heftiger umwirbt. Der Ball kommt irgendwie in unseren Strafraum, ein türkischer Stürmer wirft sich dem Pass entgegen, der Ball steigt in einer unwahrscheinlichen Kurve auf und fällt auf unser Tor, prallt von der Latte zurück ins Spiel, wo natürlich völlig ungedeckt ein aufgerückter Verteidiger des Gegners steht und den Ball durch die Beine von Jens Lehmann über die Linie nudelt.
Darf nicht wahr sein.
Drei Minuten später spielen wir haargenau den gleichen Konter wie gegen Portugal: Podolski auf links, scharfer Pass in die Mitte, da steht Schweinsteiger und macht den Ausgleich.
Aber das 1:1 ist nicht die passende Übersetzung dafür, dass bei uns in Wahrheit gar nichts geht. Als hätte die Mannschaft Valium gefrühstückt. Lethargisch schleppen wir uns in die Pause.
In der Kabine sagt uns der Trainer, was jeder ohnehin weiß:
Konzentriert euch, Jungs.
Steht zusammen.
Jeder von uns muss besser spielen, wenn wir ins Finale kommen wollen.
Wollt ihr ins Finale?
Na eben, dann zeigt es auch.
Aber das Spiel plätschert weiter auf bescheidenem Niveau dahin, unterbrochen von Einzelaktionen, die ohne Erfolg bleiben.
Über zwei Stationen kommt der Ball aus dem Mittelfeld auf die linke Seite zu mir. Wenn der Gegner tief steht, rücke ich auf. Ich lege den Ball auf rechts und bin schon im Strafraum, als mich ein Verteidiger grob von den Beinen holt.
Ich kann es nicht fassen. Der Schiedsrichter ist schon auf dem Rückweg zur Mittellinie und winkt mit größter Selbstsicherheit ab, kein Elfmeter, sicher nicht, niemals. Soll doch meine Beine fragen, der Gute, die wüssten die richtige Antwort.
Der Zorn macht mich für eine Sekunde fassungslos. Jetzt bloß nicht verlieren. Bloß nicht wegen eines vorenthaltenen Elfmeters in so einem wichtigen Spiel verlieren.
Aber es dauert bis zur 78. Minute, bis ich wieder in den Angriff mitgehen kann und den Ball auch zugespielt kriege. Ich schlage eine Flanke auf rechts, lang in die Mitte des Strafraums, dort geht Miro Klose hoch und köpft den Ball am herumtaumelnden Torwart der Türken vorbei ins Tor.
Das ganze Stadion stöhnt. Die Herzen der Fans aus der neutralen Schweiz haben wir nicht gewonnen. Aber wir sind vorn, es sind nur noch zwölf Minuten zu spielen, und es soll schon andere Generationen Deutscher Nationalmannschaften gegeben haben, die gewannen, ohne zu glänzen. Warum nicht heute auch wir?
Jetzt müssen wir nur noch die Kontrolle über das Spiel behalten. Keine spitzenmäßigen Einfälle mehr, keine Kunst. Nur noch das Ergebnis abwickeln.
Die Türken schaffen es nicht mehr, Druck aufzubauen. Die Minuten der letzten Viertelstunde, die
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