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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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stand dem Heer bevor. Alle militärische Erfahrung einschließlich seiner eigenen sprach dafür, daß das für ein Expeditionskorps im Ausland das Verhängnis bedeutete, aber der Schwung großer Vorbereitungen ist schwer aufzufangen, und die vielen englischen Garnisonen in Frankreich machten Eduard Hoffnung auf einen schnellen Sieg. England war auf dem Höhepunkt seiner Macht. Der dynamische König hatte die besten Kriegsleute seiner Zeit herangezogen – Chandos, Knollys, Sir Walter Manny, Sir Hugh Calveley, den Hauptmann de Buch und nicht zuletzt den Schwarzen Prinzen. Der Erfolg schien greifbar nahe.
    1359 brachen die Engländer von Calais aus nach Reims auf, wo
Eduard sich zum König von Frankreich krönen lassen wollte. Mit einem schier unübersehbaren Troß, der fast zehn Kilometer lang gewesen sein soll, durchquerten sie in drei Marschkolonnen die Picardie, um sich leichter aus dem Land ernähren zu können. Aber trotz dieser Vorsichtsmaßnahme waren Vorräte knapp in dem von den Kompanien verwüsteten Land. Pferde verendeten, das Marschtempo wurde schleppend, und es regnete tagaus, tagein. Die Marschleistung sank auf 15 Kilometer täglich. Schlimmer noch, Eduards Ziel, die Franzosen in offener Feldschlacht zu treffen, erwies sich als illusionär. Keine glänzende Heerschar trat den Engländern entgegen. Sie marschierten durch ein bewußt erzeugtes Vakuum: Die Franzosen konzentrierten ihre Verteidigung auf feste Städte und Burgen, die einem Angriff widerstehen konnten.
    Das Vermeiden der offenen Schlacht, die Strategie, die Frankreich retten sollte, war wie die meisten militärischen Neuerungen aus der Not geboren. Der Mann, der erkannte, was die Situation erforderte, war der Regent, ein Herrscher, der der Notwendigkeit gehorchte, nicht den Illusionen des Ruhms.
    Sein feindlicher Schwager aus Navarra hatte sich in einer neuen, plötzlichen Sinnesänderung gegen die Allianz mit Eduard entschieden und nach einer weiteren großartigen Versöhnungsfeier versprochen, »ein guter Freund des Königs, des Regenten und des Reiches« zu sein. Das Volk glaubte an eine Eingebung Gottes, aber Karl von Navarra konnte ohne Intrigen nicht leben, und schon wenige Monate später war er in ein neues Komplott gegen den Thronfolger verwickelt.
    In der ersten Dezemberwoche erreichte Eduard Reims. Wahrscheinlich hatte er angenommen, daß die Stadt ihm die Tore öffnen würde. Aber Reims hatte seine Stadtmauern verstärkt und zwang die Engländer zur Belagerung. Alles, was dem Feind dienen konnte, war von den Franzosen zerstört, alle Häuser waren niedergebrannt worden. Vor den Toren von Reims sah Eduard das Kloster St. Thierry, das er zu seinem Hauptquartier bestimmt hatte, vor seinen Augen niederbrennen. Ohne Nachschub, unter Kälte und Hunger leidend, sahen sich die Engländer nach vierzig Tagen gezwungen, die Belagerung aufzuheben. Sie wandten sich nach Süden, marschierten in das reiche Burgund, wo sie ganze Landstriche
verwüsteten, bis König Eduard sich mit 200 000 Goldmoutons vom Herzog von Burgund, Philipp von Rouvre, abfinden ließ.
    Als er sich erneut nach Paris in Marsch setzte, hörte er unter Wutausbrüchen Nachrichten von einem kühnen französischen Kommandounternehmen gegen Winchelsea an der Südküste von England. Das Ziel des Unternehmens war es, König Johann zu befreien, um Frankreich das ruinöse Lösegeld zu ersparen. Außerdem sollten die Engländer gezwungen werden, zum Schutz des Mutterlandes Truppen aus Frankreich abzuziehen. [Ref 149]
    Gerüchte von dem Unternehmen, die nach England getragen worden waren, hatten dazu geführt, daß der französische König am 1. März 1360 von Lincolnshire in eine näher bei London gelegene Burg verlegt wurde und schließlich im Tower leben mußte. Die Franzosen landeten aufgrund falscher Informationen am 15. März an der Südküste. Sie nahmen Winchelsea ohne Schwierigkeiten und stürzten sich, ohne den Versuch zu unternehmen, einen Brükkenkopf zu bilden, mit der üblichen Gewalttätigkeit in das Geschäft der Plünderung, Vergewaltigung und Zerstörung. Während Alarmschreie durch die umliegenden Gebiete hallten, plünderten die Franzosen die benachbarte Stadt Rye und trafen dabei auf eine hastig zusammengestellte Abteilung von 1200 englischen Soldaten, die sie in die Flucht schlugen. Da sie aber weitere Gegenmaßnahmen befürchteten, beschlossen sie entgegen ihrem ursprünglichen Plan, nach 48stündiger Invasion umzukehren, und schifften sich im Licht der brennenden

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