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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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und Eduard gab seine zusätzlichen Gebietsansprüche auf, was seinen Feldzug deutlich als Fehlschlag und Verschwendung brandmarkte. Aber es blieb bei der Abtretung von Calais und Aquitanien und der Übergabe anderer Gebiete – Städte, Häfen und Burgen zwischen Calais und den Pyrenäen – an England. Die Abtretungen summierten sich zu einem Drittel Frankreichs. Es war der größte Gebietsgewinn, der bis zu dieser Zeit in Westeuropa überliefert war. Als Gegenleistung gab Eduard seinen Anspruch auf alle nicht in dem Vertrag genannten Gebiete auf und verzichtete auf die französische Königskrone.
    Um die Erfüllung der Verpflichtungen zu gewährleisten, wurde die Forderung auf die vierzig Größten des Königreiches als Geiseln Englands erneuert, und Enguerrand de Coucy war wieder dabei. Als Herr des wichtigsten Bollwerks in Nordfrankreich, das sich als ein Zentrum des Widerstandes gegen die Engländer erwiesen
hatte, wurde er bewußt ausgewählt, weil die Engländer glaubten, daß der Frieden eher eingehalten würde, wenn solche Männer Geiseln waren.
    Die Gruppe wurde von den vier »Lilien«, den königlichen Prinzen, angeführt. Die beiden Söhne des Königs, Ludwig und Johann (die späteren Herzöge von Anjou und von Berry); sein Bruder, der Herzog von Orléans; der Schwager des Thronfolgers, Ludwig II., Herzog von Bourbon, und die Grafen von Artois, Eu, Longueville, Alençon, Blois, St. Pol, Harcourt, Grandpré, Braisne und andere edle Herren und berühmte Ritter – unter ihnen Matthieu de Roye, der Vormund Coucys – standen auf der Liste. König Johann sollte nach Calais gebracht werden, bis 600000 Écus seines Lösegeldes angezahlt waren und eine vorläufige Übergabe der Ländereien stattgefunden hatte. Er sollte dann mit zehn seiner Mitgefangenen von Poitiers freigelassen werden und gegen 40 bürgerliche Geiseln ausgetauscht werden. Der dritte Stand nämlich war die eigentliche Geldquelle. Die Bürger sollten jeweils zu zweit aus achtzehn der größten Städte Frankreichs kommen, Paris stellte vier. Danach sollten die Städte und Burgen übergeben werden und der Restbetrag der Lösegeldsumme in sechs Raten zu je 400000 Écus im Abstand von sechs Monaten bezahlt werden, woraufhin im selben Abstand jeweils ein Fünftel der Geiseln entlassen werden würde. [Ref 152]
    Der Vertrag von Brétigny »wurde zum großen Kummer und Zorn des Königreiches von Frankreich zu leicht hingegeben«, schrieb der anonyme Chronist der Quatre Valois , von dem wir nur wissen, daß er Bürger von Rouen war. Festungen und gute Städte wurden aufgegeben, klagte er, die »nicht leicht hätten erobert werden können«. Das war sicher wahr, aber die Rechtfertigung des Vertrags war die Notwendigkeit, den König zu befreien.
    Die Anstrengungen, das Lösegeld aufzubringen, erreichten ein Extrem. Städte, Landbezirke und Adelsdomänen veranlagten sich selbst, darunter auch das Haus Coucy mit 27500 Franken. Jedermann mußte zahlen, und als es nicht ausreichte, griff man wieder einmal auf die Juden zurück, die sich gegen eine Entschädigungszahlung von zwanzig Florins wieder in ihren alten Heimatgebieten ansiedeln durften.
    Schließlich verkaufte Johann selbst seine elfjährige Tochter Isabella
für 600000 Goldflorins an die reiche, berüchtigte milanesische Familie Visconti, die sie mit einem neunjährigen Sohn verheiraten wollte. Die Verbindung des Königs von Frankreich mit einem italienischen Emporkömmling und Tyrannen war ein fast so großes Wunder wie die französische Niederlage von Poitiers. Die Hochzeit sollte im Juli stattfinden, mußte aber verschoben werden, als die Prinzessin an einem Fieber erkrankte. Welche Angst muß dieses Krankenbett umgeben haben, von dem so viel Gold abhing!
    Die aufwendige Zeremonie, mit der die Visconti nach der Genesung der Prinzessin die Hochzeit feierten – bezahlt von den Untertanen – , unterstrich nur, was weithin als Erniedrigung Frankreichs angesehen wurde. »Wer hätte sich das je vorstellen können«, schrieb Villani in Anbetracht der Erhabenheit der französischen Krone, »daß der Träger dieser Krone in solches Ungemach geraten sollte, daß er gezwungen ist, sein eigenes Fleisch auf einer Auktion zu versteigern?« Das Schicksal der Königstochter schien ihm »wahrlich ein Anzeichen des unglücklichen Zustands der Menschen« zu sein. [Ref 153]
    Seit Juli wartete inzwischen König Johann mit seinem Sohn Philipp unter englischer Aufsicht in Calais. Philipp wurde seit einem Bankett mit

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