Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
Vom Netzwerk:
Stadt wieder ein.
    Die Nachricht, daß »der Feind durchs Land ritt und mordete, brandschatzte und zerstörte« und daß Schlimmeres zu befürchten sei, »wenn man sich nicht augenblicklich dem Feind mannhaft entgegenstellte«, erfüllte England mit Panik. Obwohl sich diese Befürchtung als übertrieben herausstellte, hinterließ die Aktion eine ständige Angst vor Invasion, die zukünftigen Angriffen auf Frankreich gewisse Einschränkungen auferlegte. Ansonsten war der Überfall, mit viel Mut geplant und wenig Geschick ausgeführt, kaum ein Erfolg. Er provozierte Eduard zu noch härteren Maßnahmen in Frankreich, zeigte ihm allerdings auch, daß England ebenso verwundbar war wie Frankreich.
    Anfang April schlossen die Engländer Paris ein und sandten Herolde
aus, die die Franzosen zur offenen Schlacht forderten. Aber der Dauphin verbot jede Antwort und vertraute auf die Befestigungsanlagen, die Marcel erst kürzlich hatte verstärken lassen. Nachdem er eine Woche lang alles außerhalb der Stadtmauern verwüstet hatte, um die Franzosen zu provozieren, wandte sich Eduard von der Stadt ab, irritiert wie vor Reims, aber noch nicht bereit, aufzugeben. Er zog nach Chartres und nicht zurück zur Küste. Während der letzten zwei Monate waren päpstliche Legaten zwischen den Engländern und den Franzosen hin und her gependelt, um die durch Eduards Unnachgiebigkeit blockierten Friedensverhandlungen wieder in Gang zu bringen. Der Dauphin selbst hatte Gesandte mit Friedensvorschlägen geschickt. In der Erkenntnis, »daß das Königreich die große Verwirrung und Verarmung«, die die Engländer anrichteten, »nicht lange ertragen konnte, da die Pacht der Grundherren und der Kirchen in allen Teilen fast völlig verlorenging«, boten er und sein Rat eine Einigung auf der Basis von 1358 an, bevor Eduard seine Forderungen erhöht hatte. Der Herzog von Lancaster empfahl Eduard, anzunehmen, denn ein Ausschlagen des Angebots würde bedeuten, daß er »für den Rest seiner Tage« Krieg führen müßte und vielleicht »in einem Tag das verlöre, was uns zu gewinnen zwanzig Jahre gekostet hat«. [Ref 150]
    Der Zorn des Himmels bekräftigte die Worte des Herzogs. Am Montag, dem 13. April, einem »üblen, dunklen Tag« mit Nebel und bitterer Kälte, traf ein Hagelschlag die kampierenden Engländer mit der Naturgewalt eines Orkans. Männer und Tiere starben unter den enormen Hagelkörnern, Zelte wurden vom Sturm fortgerissen, der Troß quälte sich durch Schlamm und Morast, und viele starben an der schrecklichen Kälte, »weshalb der Tag bis heute von vielen Menschen ›Schwarzer Montag‹ genannt wird«. In einer halben Stunde wurde Eduards Armee so hart getroffen, wie es durch menschliche Hand nicht hätte geschehen können – das Unwetter mußte eine Warnung des Himmels sein. Der Schwarze Montag war der Gipfelpunkt aller Fährnisse und Schwächen des sechsmonatigen Feldzugs – der Verwundbarkeit der englischen Streitmacht, des Ausbleibens der Entscheidungsschlacht und der Unfähigkeit, eine befestigte Stadt zu nehmen. Er bestätigte die vage dämmernde Erkenntnis, die in Lancasters Worten schon aufblitzte,
daß Frankreich nicht durch Plünderung und Verwüstung zu erobern war, auch nicht durch die Belagerung einer Stadt nach der anderen, einer Burg nach der anderen. Auf lange Sicht war es genau dies, was den Krieg dazu verurteilte, sich durch ein ganzes Jahrhundert zu schleppen – die Tatsache, daß ohne einen Zufallstreffer wie die Gefangennahme des französischen Königs in Poitiers mittelalterliche Armeen nicht die Mittel hatten, ein entscheidendes Ergebnis zu erreichen, schon gar nicht die bedingungslose Kapitulation eines ganzen Landes.
    Der himmlischen Warnung und Lancasters Ratschlag folgend, beauftragte Eduard Gesandte, mit Frankreich erneut um revidierte Friedensbedingungen zu unterhandeln. Sie trafen sich in dem kleinen Dorf Brétigny, vielleicht fünf Kilometer von Chartres entfernt, wo der zwanzigjährige Krieg zu einem Ende gebracht wurde – wie es damals schien. [Ref 151]
    Der am 8. Mai 1360 unterzeichnete Vertrag von Brétigny war ein unübersichtliches Netzwerk rechtlicher und territorialer Regelungen, das detailliert in neununddreißig Artikeln, fünf zusätzlichen Briefen und der ewig vieldeutigen Rhetorik der Rechtsgelehrten abgefaßt war. Im wesentlichen lief es auf eine Rückkehr zu der ursprünglichen Einigung von 1358 hinaus. Die Lösegeldsumme für König Johann war auf 3 Millionen Goldécus reduziert worden,

Weitere Kostenlose Bücher