Der ferne Spiegel
Adligen bekämpften sie, überall brachen Privatkriege und lokale Fehden aus, Burgen wurden belagert und Dörfer verbrannt. Mitten in diesen Wirren »hütete der junge Sire de Coucy seine Burg und sein Land mit Umsicht« – und mit der Hilfe zweier gefürchteter Krieger. Der eine war sein früherer Vormund Matthieu de Roye, der einmal eine ganze Kompanie von dreihundert Engländern besiegte und gefangennahm.
Der andere war der Gouverneur des Coucy-Besitzes, »ein harter und tapferer Ritter« mit Namen Chanoine de Robersart, »der von den Engländern wie kein anderer gefürchtet wurde, weil er sie viele Male verjagte«. Enguerrand selbst zerstörte die Burg des Bischofs Robert le Coq, der Laon in das Lager von Karl von Navarra zu ziehen versuchte. Einzelheiten sind nicht überliefert bis auf die Tatsache, daß »der Herr von Coucy diesen Bischof nicht liebte«. [Ref 146] Ansonsten gelang es Enguerrand, mit seinen bezahlten Reisigen die Briganten aus seinem Land herauszuhalten, obwohl sie die benachbarte Burg des Grafen von Roussi erobern konnten und in seinem Land »großen Mangel« erzeugten. Über unbestellte Felder und niedergebrannte Dörfer wandelte der Hungertod durch Frankreich.
KAPITEL 8
Geisel in England
D iese ganze Zeit hindurch waren alle Versuche in London, einen dauerhaften Friedensvertrag abzuschließen, fehlgeschlagen. Als die Franzosen sich weigerten, das Verhandlungsergebnis von 1358 anzunehmen, antwortete Eduard mit noch weitergehenden Forderungen. Weil der alte Waffenstillstandsvertrag aber im März 1359 auszulaufen drohte, gab König Johann schließlich nach und opferte für seine Freilassung sein halbes Königreich. Im Vertrag von London verzichtete er praktisch auf das gesamte westliche Frankreich von den Pyrenäen bis nach Calais und stimmte der erneut erhöhten, katastrophalen Lösegeldsumme von 4 Millionen Goldécus zu. Sie sollte in festgesetzten Raten bezahlt werden, und vierzig Geiseln des Hochadels sollten für die Zahlung garantieren, unter ihnen Enguerrand de Coucy. Sollte es Widerstand in den abgetretenen Gebieten geben, war es Eduard gestattet, Truppen nach Frankreich zu schicken, die vom König von Frankreich zu bezahlen waren. [Ref 147]
So verzweifelt sich das Königreich Frankreich nach dem Frieden sehnte: Scham und Zorn waren die Reaktion auf diese Bedingungen. In den schweren Jahren nach Poitiers war der Dauphin, von den Umständen zur Reife gezwungen, zu einem besseren Regenten geworden, als es sein Vater je gewesen war. Weder er noch sein Rat waren gewillt, dem zuzustimmen, was der König von Frankreich ausgehandelt hatte. Angesichts der trostlosen Alternative, entweder den Vertrag anzuerkennen oder sich der Gefahr eines neuen Krieges auszusetzen, berief er die Generalversammlung der Stände ein. »Die weisesten und erfahrensten Männer« sollten, ausgestattet mit allen Vollmachten, die Gemeinden vertreten. In dieser
dunklen Stunde, einer der dunkelsten in der französischen Geschichte, waren sich die wenigen Delegierten, die die gefährliche Reise nach Paris auf sich nahmen, des Ernstes der Lage bewußt. Als der Text der Londoner Verträge verlesen worden war, überlegten sie nur kurz und gaben dem Dauphin eine einmütige Antwort. »Sie erklärten, daß der Vertrag unerträglich und eine Beleidigung des gesamten französischen Volkes sei, und daher ordneten sie an, England den Krieg zu erklären.«
Eduard reagierte darauf mit einer enormen Kriegsanstrengung, die seinen Sieg über Frankreich vollständig machen sollte. Zunächst bezeichnete er die französische »Treulosigkeit« als den Grund des neuen Waffengangs, um so die Bedingungen für einen »gerechten Krieg« zu erfüllen, was den Bischöfen erlaubte, zum Zwecke leichterer Truppenrekrutierung Ablässe zu gewähren. Entschlossen, ein Expeditionsheer zusammenzustellen, dem es an nichts fehlen sollte, verbrachte er den ganzen Sommer damit, die technischen Vorbereitungen zu treffen. Ein gigantischer Geleitzug von eintausendeinhundert Schiffen, die elf- bis zwölftausend Männer und über dreitausend Pferde an Bord hatten (in Calais erwartete sie noch einmal eine ebenso große Streitmacht), wurde zusammengestellt und mit allem ausgestattet, was man im Feindesland brauchte, angefangen bei tausend Karren über Hufeisen, Pfeile, Rüstungen und Kochutensilien bis hin zu dreißig Falken für die Jagd. [Ref 148]
Als sich der König mit seinen vier ältesten Söhnen einschiffte, war es Ende Oktober, und ein Winterfeldzug
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