Der ferne Spiegel
Pol und Bürgerliche, die Geiseln aus Paris und Rouen, fielen ihr gleichermaßen zum Opfer. Der große Herzog von Lancaster, der reichste Mann Englands, war nicht gefeit, auch er starb an der Pest und hinterließ Titel und Reichtum seinem Schwiegersohn, dem dritten Sohn König Eduards, Johann von Gaunt. Es ist nicht überliefert, ob den Geiseln ein ständiger Wohnsitz auf dem Lande erlaubt wurde, um der Londoner Pestwelle zu entkommen. Ihre Aussichten freizukommen waren alles andere als günstig. Sie hingen von der Regelmäßigkeit der Lösegeldzahlungen für den König ab. Die aber waren schon ins Stocken geraten. Die Seuche machte es äußerst schwierig, das Geld aufzubringen. Das Land war durch die Brigantenzüge verwüstet.
Dem entsetzten Petrarca, den Galeazzo Visconti nach Frankreich geschickt hatte, um König Johann zu seiner Befreiung zu gratulieren, erschien Frankreich »wie ein Trümmerhaufen«. Petrarca war ein unermüdlicher Nörgler, der jede seiner Klagen ins Extrem trieb, sei es nun über die Unfähigkeit der Ärzte, den Gestank Avignons oder die Dekadenz des Heiligen Stuhls. Aber auch wenn man seine Übertreibungen berücksichtigt, ist sein Bericht von dem Frankreich, wie er es im Januar 1361 sah, tragisch genug. »Überall
war Einsamkeit, Trostlosigkeit und Elend; die Felder sind verlassen, die Häuser in Ruinen und leer außer in den festen Städten; überall sieht man die tödlichen Spuren der Engländer, die schrecklichen Wunden, die ihre Schwerter geschlagen haben.« Im königlichen Paris, »durch Zerstörung bis an die Tore geschändet . . . fließt selbst die Seine traurig dahin, als fühle sie die Trauer des Landes, und weint aus Furcht um das Schicksal Frankreichs«.
Petrarca übergab als Geschenk Galeazzos zwei Ringe an Johann. Einer trug einen riesigen Rubin, der andere war der Ring, der Johann in der Schlacht von Poitiers vom Finger gerissen worden war und den Galeazzo auf irgendwelchen dunklen Wegen zurückgekauft hatte. Danach verlas Petrarca vor dem Hof eine lateinische Rede über den biblischen Text von Manasses Rückkehr aus Babylon, angereichert mit einigen Bemerkungen über die Wechselhaftigkeit des Glücks, wie bewiesen durch Johanns wunderbare Erlösung aus der Gefangenschaft. Der König und der Prinz, schrieb Petrarca später in seiner umfangreichen Korrespondenz, »hefteten ihre Augen auf mich«. Besonders deutlich empfand er das Interesse des Dauphins, »eines jungen Mannes von leidenschaftlicher Intelligenz«. [Ref 160]
Persönliches Unglück neben dem des Landes hatte den Dauphin getroffen. Im Oktober 1360 waren seine dreijährige Tochter Jeanne und ihre kleine Schwester Bonne, seine einzigen Kinder, innerhalb zweier Wochen gestorben, ob an der Seuche, ist nicht überliefert. Bei dem Doppelbegräbnis sah man den Dauphin »so kummervoll wie nie zuvor«. Er selbst litt unter einer Krankheit, die sein Haar und seine Nägel ausfallen ließ und ihn »trocken wie einen Stock« machte. Der Klatsch des Hofes führte sein Leiden auf Gift zurück, mit dem Karl von Navarra ihn angeblich hatte beseitigen wollen. Das ist möglich, denn die Symptome sind die einer Arsenvergiftung. Der König von Navarra hatte sich neuerdings wieder gegen das französische Königshaus gewandt. Im Dezember 1359 hatte er einen Staatsstreich geplant. Bewaffnete sollten durch mehrere Tore gleichzeitig in Paris eindringen, den Dauphin und seinen Rat umbringen und sich dann auf strategische Positionen der Stadt zurückziehen, bevor die Pariser sich sammeln konnten. Seine eigentlichen Absichten blieben wie immer geheimnisvoll. Der Anschlag
wurde dem Dauphin hinterbracht, der alle Beziehungen zu Karl abbrach. Dessen Truppen nahmen daraufhin ihre Feldzüge gegen die Landbevölkerung wieder auf.
Nicht nur die Zahlung des Lösegelds, auch die Erfüllung der territorialen Forderungen war eine Bedingung für die Freilassung der Geiseln. Aber zu leichtherzig, wie die Chroniken sagen, waren die Länder und Städte in Brétigny den Engländern überschrieben worden, ohne zu berücksichtigen, daß die Papiere für Menschen standen. Diese Menschen aber waren nach zwei Jahrzehnten Krieg nicht mehr dieselben. Die Bürger der Küstenstadt La Rochelle flehten den König an, sie nicht aufzugeben; sie wollten lieber jedes Jahr die Hälfte ihres Einkommens an Steuern zahlen als unter englischer Herrschaft leben. »Wir mögen uns den Engländern mit unseren Lippen unterwerfen«, sagten sie, »aber mit unseren Herzen niemals.«
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