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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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hatte, zwischen Frankreich und England Frieden zu stiften. Erschöpft von zehn Jahren des Streites und der Uneinigkeit, des Kampfes gegen die Weltlichkeit der Prälaten, gegen die Briganten und die Pest, starb Innozenz VI. im September 1362. Sein Nachfolger Urban V., wie Innozenz ein Franzose, nahm die Sache des Kreuzzugs auf, aktiv unterstützt vom titulären König von Jerusalem, Peter von Lusignan, der zugleich König von Zypern war und nach Avignon gekommen war, um den Kreuzzug zu betreiben.
    Die Könige von Zypern und Frankreich verbrachten den Winter und Frühling in Avignon damit, die Möglichkeiten eines Kreuzzugs mit dem Papst zu besprechen. Am Karfreitag wurde er schließlich offiziell verkündet. Johann wurde zum Generalhauptmann des Kreuzzugs ernannt. Das war zugleich der Höhepunkt des ganzen Unternehmens. König Eduard von England, bei einem Besuch des Königs von Zypern in London aufgefordert, das Kreuz zu nehmen, entschuldigte sich »höflich und sehr weise«, und als er auch an anderen Höfen in Europa wenig Interesse wecken konnte, war der König von Zypern gezwungen, die Idee eines Kreuzzugs fürs erste fahrenzulassen.
    Nach dem Fehlschlag seiner Pläne in Avignon blieb Johann nun nichts anderes, als sich der unerfreulichen Lage in Frankreich zu stellen. Er ritt ohne Eile durch sein leidgeprüftes Reich; im Juli 1363 erreichte er Paris. Dort mußte er feststellen, daß der Herzog von Anjou seine Freigabe auf Ehrenwort mißbraucht hatte und
verschwunden war. Noch kurz bevor der Herzog als Geisel nach England gegangen war, hatte er geheiratet, war nun nach Boulogne gereist, um seine Frau zu treffen, in die er sehr verliebt gewesen sein soll, und weigerte sich, nach Calais zurückzugehen. Johann sah diese Handlungsweise seines Sohnes als einen »Bruch des Lehnseides« und eine Befleckung der Ehre der Krone an. Dies zusammen mit den rückständigen Lösegeldzahlungen, der Vereitelung des Geiselaustausches, dem er bereits zugestimmt hatte, und den Schwierigkeiten mit den Abtretungen brachte seine persönliche Ehre in Verruf und ließ ihm, so behauptete er, nur eine Möglichkeit: freiwillig in die Gefangenschaft zurückzukehren.
    Sogar für das 14. Jahrhundert war diese Argumentation, die jedem politischen Realitätssinn spottete, extrem. Der Rat, die Prälaten und Barone Frankreichs, »sprachen in tiefer Sorge dagegen« und erklärten, daß dieser Plan »eine große Torheit« sei, aber Johann blieb bei seiner Entscheidung und sagte, »wenn auch Treue und Ehre von der ganzen Welt verbannt sein sollten, sie immer noch in den Herzen und Worten der Fürsten zu finden seien«. Eine Woche nach Weihnachten brach er auf und überquerte den Kanal mitten im Winter. [Ref 163]
    Seine Abreise verblüffte die Zeitgenossen. Jean de Venette, der weder Könige noch Adlige liebte, behauptete, daß der König »causa joci« (um des Vergnügens willen) zurückgegangen sei. Historiker haben viele Erklärungen angeboten: Er sei zurückgekehrt, um einen neuen Krieg zu vermeiden; er habe durch ein persönliches Gespräch Eduard bewegen wollen, das Lösegeld zu verringern, oder er habe ihn überreden wollen, Karl von Navarra zur Ordnung zu rufen. Wenn das seine Gründe waren, so wurde keines dieser Ziele erreicht. Wenn es die Ehre war, die ihn zurückbrachte, wie stand es um seine Verantwortung als König? Schuldete er seinem Reich nichts, das einen Herrscher brauchte; den Bürgern nichts, denen man den letzten Pfennig abpreßte, um sein Lösegeld zu bezahlen; und schuldete er schließlich dem Andenken Ringois’ von Abbeville nichts, der von den Klippen von Dover gesprungen war? Wer kann sagen, was Johann zu seiner Rückkehr bewog? Vielleicht war es kein mittelalterlicher Grund, sondern die Tragödie eines Menschen, der erkannt hatte, daß er der Aufgabe, für die er geboren
war, nicht gewachsen war, und der sich in die erzwungene Passivität der Gefangenschaft flüchtete.
    Im Januar 1364 landete er in London, wurde mit verschwenderischem Aufwand begrüßt, erkrankte im März an einem »unbekannten Leiden« und starb im April im Alter von 45 Jahren. Eduard sorgte für einen prächtigen Beerdigungsgottesdienst in der St.-Pauls-Kathedrale, in dessen Verlauf viertausend Fackeln, jede vier Meter lang, und dreitausend Kerzen, jede zehn Pfund schwer, verbraucht wurden. Sein Leichnam wurde nach Frankreich überführt und in der königlichen Basilika von St. Denis beigesetzt. König Johann hatte die ewige Passivität des Grabes

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