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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Geschäftshauses, wenn der Mann nicht da war – neben den Mutterpflichten erlaubte der Hausfrau alles andere als Müßiggang. Sie beaufsichtigte das Nähen, Weben, Brauen, die Kerzenherstellung, den Markteinkauf, die Almosenvergabe, sie leitete die Dienstleute im Haus und außer Haus an, übte ein wenig auch einfachere ärztliche Funktionen aus, führte Buch und vielleicht noch ein getrenntes Geschäft als femme sole . [Ref 177]
    Die Frauen des 14. Jahrhunderts hatten eine wirkungsvolle weibliche Fürsprecherin in Christine de Pisan, die, soweit wir wissen, die einzige Frau im Mittelalter war, die sich ihren Lebensunterhalt mit der Feder verdiente. 1364 geboren, war sie die Tochter des Thomas von Pisano, eines Arztes und Astrologen mit Doktorwürden der Universität von Bologna, der 1365 von Karl V. nach Paris gerufen wurde. Christine wurde von ihrem Vater in Latein, Philosophie und anderen Wissenszweigen unterrichtet, die für eine weibliche Erziehung zur damaligen Zeit recht ungewöhnlich waren. Mit fünfzehn Jahren heiratete sie Etienne Castel aus der Picardie, einen der königlichen Sekretäre. Zehn Jahre später stand sie dann allein mit drei Kindern, da ihr Mann »in der Blüte seiner Jahre« und ihr Vater kurz nacheinander gestorben waren. Ohne Verwandte und ohne Einkommen zurückgelassen, sah sie sich gezwungen, ihren Lebensunterhalt mit dem Schreiben zu verdienen. Sie begann mit Lyrik, drückte in Balladen und in Rondeaux das Glück ihres Ehelebens und die Trauer ihrer Witwenzeit aus. Die Form war konventionell, aber der Ton überraschend persönlich.

    Keiner kennt die Qualen, die mein armes Herz erträgt,
Um meinen Schmerz zu verbergen, da ich kein Mitleid finde.
Je weniger Mitgefühl in Freunden,
desto mehr Grund für Tränen.
Also klage ich nicht über meinen Jammer und meine Trauer.
Sondern lache, wo ich lieber weinen wollte,
Und lasse meine Lieder ohne Reim und Rhythmus,
Um mein Herz zu verbergen. [Ref 178]
    Der klagende Ton (oder auch mehr Mitleid, als Christine in ihren Schriften zugab) öffnete die Geldbörsen des Adels, der sich schon aus Statusgründen gern in der Rolle als Schutzpatron der Kunst sah, und ermöglichte es Christine, Studien für eine Flut von didaktischen Werken zu betreiben. Kein Thema schreckte sie ab: sie schrieb einen dicken Band über die Kriegskunst, der auf dem römischen Klassiker De re militari von Vegetius beruhte, einen mythologischen Roman, eine Abhandlung über die Erziehung von Frauen und eine Biographie Karls V., die immer noch als wichtiges und originäres Werk gilt. Am eindrucksvollsten aber ist sie, wo sie über ihr eigenes Geschlecht schreibt, wie in La Cité des Dames , einer Darstellung berühmter historischer Frauengestalten. Obwohl das Werk eine Übersetzung von Boccaccios De claris mulieribus ist, macht es sich Christine im Prolog zu eigen, wenn sie voller Scham und Kummer fragt, warum Männer »den Frauen so einmütig Boshaftigkeit unterstellen« und warum »wir schlechter sein sollen als die Männer, da wir doch auch von Gott geschaffen sind«. In einer blendenden Vision erscheinen daraufhin drei gekrönte Frauengestalten, Gerechtigkeit, Treue und Nächstenliebe, um ihr zu sagen, daß die Ansichten der Philosophen keine Glaubensartikel seien, »sondern die Nebel des Irrtums und des Selbstbetrugs«. Sie nennen die großen Frauengestalten der Geschichte: Ceres, die Begründerin der Landwirtschaft; Arachne, die Erfinderin des Spinnens und Webens; und verschiedene Heldinnen der homerischen Legenden, des Alten Testaments und der christlichen Martyrologie.
Zu Ende des Jahrhunderts fragt Christine in einem leidenschaftlichen Aufschrei in ihrem Brief an den Gott der Liebe , warum die Frauen, die früher in Frankreich so geschätzt und geehrt wurden, nun angegriffen und beleidigt würden, und dies nicht nur von den Unwissenden und Niedrigen, sondern auch vom Adel und der Geistlichkeit. Der Brief ist eine direkte Antwort auf die bösartige Satire auf die Frauen in Jean de Meungs Fortsetzung des Rosenromans, dem populärsten Buch dieses Zeitalters. De Meung, ein Berufsschriftsteller mit einem Magistergrad der Pariser Universität, war der Jonathan Swift seiner Zeit. Seine Satiren geißelten die künstlichen Konventionen der Religion, Philosophie und besonders des Rittertums und der hohen Minne. De Meungs Helden sind die Natur und die natürlichen Gefühle; Verstellung, Heuchelei und (erzwungene) Enthaltsamkeit und Keuschheit seine Bösewichter, die er gerne als

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