Der ferne Spiegel
überraschend.
Honoré Bonet erörterte die Frage, ob eine Königin einen Ritter verurteilen dürfe, wenn sie das Reich in Abwesenheit des Königs regierte. Nein, antwortete er, »es ist klar, daß der Mann viel edler als die Frau ist und von größerer Tugend«, so daß eine Frau nicht über einen Mann urteilen kann, denn »ein Untertan kann seinen Herrn nicht verurteilen«. Wie die Königin unter diesen Umständen das Reich regieren sollte, wird nicht erklärt. [Ref 175]
Die Apotheose weiblicher Unterwerfung war die geduldige Griselda, deren ehelicher Gehorsam von ihrem Ehemann grausamen Prüfungen unterworfen wurde. Ihre Geschichte war für männliche Autoren so interessant, daß sie in der Mitte des 14. Jahrhunderts viermal erzählt wurde, zunächst von Boccaccio, dann lateinisch von Petrarca, im Englischen von Chaucer und im Französischen von dem Ménagier. Ohne Klage erduldet Griselda es, daß ihr ein Kind nach dem anderen weggenommen und, wie ihr Gatte ihr sagt, getötet wird, schließlich wird auch sie verstoßen, bis alles als eine Prüfung enthüllt wird und sie sich mit Freuden erneut mit dem hassenswerten Erfinder ihrer Qualen vereinigt. Liebe in der Ehe war ein ersehntes Ziel, auch wenn die Ideale der Minnelieder etwas anderes verkündeten, aber man ging davon aus, daß dieses Ziel erst nach und nicht vor der Heirat zu erreichen war. Es war die Aufgabe
der Frau, sich die männliche Liebe zu verdienen und »in dieser Welt den Frieden zu finden, der in der Ehe liegen kann«. So mußte die Frau stets aufmerksam, fürsorglich, liebenswert, ausgeglichen, geduldig und zufrieden erscheinen. Alle weisen Ratschläge des Ménagiers können auf einen einzigen zurückgeführt werden: »Man kann einen Mann durch nichts leichter bezaubern, als ihm zu geben, was ihn erfreut.« Wenn der dritte Stand, dem der Ménagier angehörte, mehr Wert auf die Liebe in der Ehe legte als der Adel, dann sicher deshalb, weil die größere Nähe von Mann und Frau in einem bürgerlichen Haushalt liebevollen Umgang miteinander erstrebenswert machte. In England konnte man durch eheliche Harmonie den »Dunmow Flitch« gewinnen – eine Speckseite, die jedem Paar geschenkt wurde, das nach Dunmow in Essex kam und schwören konnte, daß es während des ganzen letzten Jahres nicht gestritten hatte, die Ehe nicht bereute und sie erneut schließen würde, wenn es die Möglichkeit dazu hätte.
Während der Kult der hohen Minne das Ansehen der edlen Frau heben sollte, hatte die inbrünstige Anbetung der Jungfrau Maria nur wenig Wirkung auf den Status der Frau. Die Frauen wurden aufgrund ihrer angeblichen Klatschsucht, Koketterie, Sentimentalität und Treuelosigkeit kritisiert. Man warf ihnen vor, daß sie in der Kirche schwätzten, sich bei jeder Gelegenheit mit Weihwasser bespritzten und auf alles, nur nicht auf die Predigt achteten. Nonnen sagte man nach, daß sie melancholisch und gereizt seien »wie Hunde, die zu lange angekettet waren«. Die Nonnenklöster waren für viele eine Zuflucht vor der Welt, für andere löste sich hier ein Schicksal ein, das ihre Familien über sie verhängt hatten, aber nur wenige hatten aus religiöser Berufung den Schleier genommen, und das konnten sich ohnehin nur die leisten, die mit reichlicher Aussteuer hierherkamen. [Ref 176]
Es läßt sich durch die Steuerlisten feststellen, daß die Frauensterblichkeit im Lebensalter zwischen zwanzig und vierzig Jahren wesentlich über der der Männer lag. Das lag wahrscheinlich an den Schwangerschaftsrisiken und größerer Anfälligkeit für Krankheiten. Nach vierzig normalisierte sich die Sterblichkeitsrate. Die Frauen konnten, einmal verwitwet, selbst entscheiden, ob sie erneut heiraten wollten oder nicht.
Im täglichen Leben wurde adligen wie nichtadligen Frauen die Gleichberechtigung in der Funktion, wenn auch nicht im Status, durch die Umstände aufgedrängt. Bauersfrauen konnten ebensogut einen Pachthof bewirtschaften und die dazugehörigen Dienste für den Feudalherrn leisten wie Männer, nur daß sie für dieselbe Arbeit schlechter bezahlt wurden. In den Zünften hatten Frauen das Monopol in bestimmten Bereichen, vor allen Dingen in der Spinnerei und manchmal auch in einigen Lebensmittelbranchen. Bestimmte Handwerke schlossen Frauen aus, es sei denn, es handelte sich um Frauen oder Töchter von Zunftmitgliedern; in anderen arbeiteten Männer und Frauen gleichberechtigt. Die Führung eines großen Bürgerhaushalts – auch des Landbesitzes und
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