Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
Vom Netzwerk:
Geschlechtsverkehr, der dem Vergnügen diente? War eine keusche oder jungfräuliche Ehe gottesfürchtiger als ein normales Eheleben? Wie war der Beischlaf während der Schwangerschaft oder nach den Wechseljahren zu bewerten, wenn Fortpflanzung nicht beabsichtigt sein konnte? Was war, wenn ein Mann, von einer anderen Frau versucht, mit der seinen schlief, um sich »abzureagieren«: das heißt was, wenn man eine Sünde beging, um die andere zu vermeiden? Was, wenn ein Ritter an einem Kreuzzug teilnahm und seine Frau allein ließ, was der Fortpflanzung widersprach, war das eine Sünde in den Augen der Kirche? Dies waren Fragen, die die Dialektiker wohl mehr beschäftigten als die Durchschnittsmenschen.
    Wie die Habgier widersetzte sich die Sexualität doktrinärer Regelung. Nur ein Prinzip war unerschütterlich: Alles, was »der Ordnung der Natur« widersprach, war Sünde. Der alles umfassende Ausdruck war »Sodomie«, was nicht nur Homosexualität bezeichnete, sondern jedweden Verkehr in »unrechter« Stellung oder in »unrechter« Art. Auch die Sünde des Onan und Selbstbefriedigung oder Verkehr mit Tieren fielen unter diesen Begriff. Alles war
Sodomie, eine Perversion der Natur, eine Rebellion gegen Gott und zählte damit zu den »schlimmsten der Sünden« in der Kategorie der Lüsternheit.
    Die Ehe war die Beziehung zwischen den Geschlechtern, der das meiste Interesse galt. Das dominierende Thema war die Frage: »Wer ist der Herr im Haus?« Der Ménagier von Paris schreibt in seinem Handbuch von Ratschlägen für seine fünfzehnjährige Ehefrau, daß das Weib den Geboten ihres Mannes gehorchen und mehr auf sein als auf ihr Wohlergehen achten solle, »denn sein Vergnügen soll vor dem deinigen stehen«. Sie soll nicht arrogant, vorlaut oder streitsüchtig sein, vor allem nicht in der Öffentlichkeit, denn »es ist ein Gebot Gottes, daß die Frau dem Manne untertan sei . . ., und durch Folgsamkeit gewinnt eine weise Frau die Liebe ihres Mannes und bekommt am Ende, was sie will«. Sie soll ihn klug und vorsichtig beraten und vor Dummheiten schützen, aber sie soll nie klagen und keifen, »denn das Herz eines Mannes erträgt es nur schwer, von einer Frau beherrscht und gelenkt zu werden«. [Ref 174]
    Beispiele für das schreckliche Schicksal, das nörgelnde und kritische Frauen traf, werden sowohl vom Ménagier als auch von La Tour Landry zitiert, der von einem Ehemann erzählt, dessen Frau ihn in der Öffentlichkeit hart kritisierte, woraufhin er »so ärgerlich wurde, daß er sie mit der Faust zu Boden schlug«, ihr dann ins Gesicht trat und ihr die Nase brach, so daß sie auf immer entstellt war und »vor Scham nicht ihr Gesicht zeigen mochte«. Aber das geschah ihr nur recht, »denn sie hatte eine zu üble und grobe Sprache gegen ihren Mann gebraucht«.
    Gehorsam und Folgsamkeit der Frauen wurden so sehr betont, daß man annehmen könnte, das Gegenteil sei das Geläufige gewesen. Im Mittelalter wurde Zorn mit Frauen assoziiert, und in der allegorischen Darstellung war die Sünde des Zorns eine Frau, die auf einem Keiler ritt, während alle anderen Laster als Männer personifiziert sind. Wenn die verbreitetste Sicht der Frau im Mittelalter die einer schimpfenden Xanthippe war, so vielleicht deshalb, weil das Schelten ihre einzige Möglichkeit war, sich gegen die männliche Überlegenheit zur Wehr zu setzen. Daß die Frau dem Manne untertan sei, war biblisch und wurde – wie alles mögliche
andere – von Thomas von Aquin noch einmal bekräftigt und erklärt. Zur guten Ordnung der Familie gehöre, so argumentierte er, daß einige von anderen, »die weiser sind als sie selbst«, beherrscht werden; deshalb wurde die Frau, deren »Charakter und Körperkräfte« weniger ausgebildet sind als die des Mannes, »ihm durch die Natur unterstellt, weil in ihm der Verstand regiert«. Der Vater, entschied er, sollte mehr als die Mutter geliebt werden, und ihm gegenüber bestand auch eine größere Verpflichtung, weil er »aktiven« Anteil an der Empfängnis hatte, wohingegen die Mutter nur eine »passive und materielle« Rolle spielte. Aus dem Orakel seines Zölibats heraus gab Thomas zwar zu, daß mütterliche Fürsorge und Ernährung erforderlich sind, um ein Kind großzuziehen, aber noch wichtiger erschien ihm der Vater »als Führer und Vormund, unter dem sich das Kind in äußerlichen und innerlichen Tugenden entwickelt«. Daß die Frauen im Zeitalter dieses Thomas von Aquin widerspenstig wurden, war kaum

Weitere Kostenlose Bücher