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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Fastenzeit bis zur Vergewaltigung schwangerer Frauen, was angeblich den Tod von ungeborenen und ungetauften Kindern verursachte. Drei Viertel von Frankreich waren ihr Jagdgrund, vor allem Burgund, die Normandie, die Champagne und Languedoc. Befestigte Städte konnten Widerstand leisten, aber das Land war den Briganten ausgeliefert und wurde immer wieder verwüstet. Eine Vagabundenbevölkerung entstand aus verarmten Bauern, arbeitslosen Handwerkern und Priestern ohne Gemeinden. [Ref 183]
    Die Kompanien verschonten auch die Kirchen nicht. »Unberührt von der Furcht Gottes«, schrieb Innozenz VI. in einem Hirtenbrief von 1360, »brechen die Söhne des Frevels in Kirchen ein, stehlen Bücher, Kreuze, Reliquien und Abendmahlgeschirr und machen sie zu ihrer Beute.« Kirchen, in denen Blut vergossen worden war, galten als geschändet und durften nicht zum Gottesdienst benutzt werden, bevor sie nicht in einem langen bürokratischen Prozeß als gereinigt erklärt waren. Dessenungeachtet mußte die Gemeinde die Abgaben an den Papst weiterhin zahlen, was die Priester oft in den Ruin trieb, sie dazu brachte, ihre Gemeinden zu verlassen und sich nicht selten den Verbrechern anzuschließen. »Seht, wie bedenklich es ist«, trauerte Innozenz im selben Hirtenbrief, »wenn die, denen die Gnade Gottes anvertraut ist . . . an Raub und Schändung teilhaben und selbst am Vergießen des Blutes.«
    Nur ein Pfeiler der mittelalterlichen Ordnung blieb unerschüttert: die Notwendigkeit der Absolution. Die Furcht davor, ohne Freisprechung von den Sünden zu sterben, saß so tief, daß Geister
als die Seelen angesehen wurden, die zurückgekehrt waren, um Absolution zu erbitten. Die Kompanien erzwangen deshalb häufig ihre Freisprechung mit Gewalt, raubten sie, als wäre sie ein Sack Gold. Innozenz’ Nachfolger, Urban V., gab 1364 zwei Exkommunikationsbullen gegen die Briganten heraus, Cogit Nos und Miserabilis Nonnullorum , die beide darauf zielten, jede Unterstützung der Kompanien zu unterbinden, und versprachen, daß jeder, der im Kampf gegen sie fiel, von seinen Sünden freigesprochen war. Der Bann mag die Briganten verstört haben, einschüchtern konnte er sie nicht.
    Der berühmteste Berufssoldat unter den Briganten war Sir John Hawkwood, dem Coucy später einmal in der Schlacht entgegentreten sollte und dessen Name zum erstenmal als Führer einer der Kompanien auftauchte, die 1361 Avignon belagerten. Sein Werdegang war typisch für viele der Brigantenführer. Als zweiter Sohn eines kleinen Grundherrn verließ er seine Heimat, als sein älterer Bruder das Gutshaus und das Land erbte. Er schloß sich der englischen Armee in Frankreich an und kämpfte noch in den 1350er Jahren »als ein armer Ritter, der außer seinen Sporen nichts gewonnen hatte«. Nach dem Vertrag von Brétigny schloß er sich einer Kompanie der Tard-Venus (der »später gekommenen« Kompanien) an. Zu der Zeit war er 35. Als er sich durch päpstliches Gold bewegen ließ, Avignon zu verschonen, befehligte er die »Weiße Kompanie«, eine Streitmacht von 3500 Reitern und 2000 Fußsoldaten, deren weiße Banner, weiße Waffenröcke und hochpolierte Brustpanzer ihnen den Namen gaben. Als sie in der Lombardei auftauchten, verbreiteten sie durch ihre Grausamkeit und Hemmungslosigkeit Schrecken: »Nichts war entsetzlicher, als den Namen dieser Engländer zu hören.« Sie erwarben sich den Ruf, perfidi e scelleratissimi (heimtückisch und überaus böse) zu sein, obwohl zugegeben wurde, daß »sie ihre Opfer nicht verstümmelten und rösteten wie die Ungarn«. [Ref 184]
    Von verschiedenen italienischen Stadtstaaten, die ihre ständigen Privatfehden untereinander ausfochten, wurde Hawkwood angeheuert und konnte bald die höchsten Preise fordern. Er war ebenso rücksichtslos – aus dieser Zeit stammt das Sprichwort: »Ein italisierter Engländer ist der inkarnierte Teufel« – wie geschäftstüchtig,
verlor keine Zeit mit der herkömmlichen Räuberei, sondern stellte seine Kompanie den jeweils zahlungskräftigsten Fürsten oder Städten zur Verfügung. Er kämpfte für Pisa gegen Florenz und umgekehrt, für den Papst gegen die Visconti und umgekehrt, wobei er, als er die Dienste der Visconti verließ, ihnen korrekterweise die Burgen zurückgab, die er mit seiner Kompanie für sie erobert und besetzt hatte. Der Krieg war für Hawkwood ein Geschäft, er machte nur eine Ausnahme: Gegen den König von England wollte er nicht kämpfen. Als er nach 35 Jahren in Italien starb,

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