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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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bewußtlosen Führer, »weinten jämmerlich . . . rangen die Hände und rissen an ihren Haaren« und riefen: »Ah, Sir
John Chandos, Blume der Ritterschaft, unglücklich geschmiedet das Eisen, das Euch verwundet hat und Euch den Anschein des Todes gibt.«
    Chandos starb am nächsten Tag, ohne das Bewußtsein wiederzuerlangen, und die Engländer in Aquitanien sagten, »sie hätten alles auf jener Seite der See verloren«. Als Taktiker und Urheber der englischen Siege bei Crécy, Poitiers und Najera war Chandos der größte Feldhauptmann seiner Seite, wenn nicht beider Seiten. Auch wenn die Franzosen über den Verlust des Feindes jubelten, gab es einige »sehr edle und tapfere Ritter« unter ihnen, die Chandos’ Tod für ein Unglück hielten – und dies aus einem interessanten Grund. Chandos, sagten diese, »war so weise und erfindungsreich« und stand dem König von England so nahe, daßer ein Mittel gefunden hätte, »durch das der Friede zwischen den Königreichen von England und Frankreich hätte erreicht werden können«. Selbst die Ritterschaft kannte die Sehnsucht nach Frieden.
    Einige Monate später unternahm der Schwarze Prinz seine letzte Kriegstat. Seine Länder glitten ihm aus den Händen, angenagt von den Kompanien unter dem Herzog von Anjou, dem energischen Leutnant des Königs im Languedoc, und von anderen Einheiten unter Du Guesclin. Im August 1370 gewann Karls vorsichtige Schritt-um-Schritt-Politik Limoges zurück, dessen Bischof, obwohl er dem Schwarzen Prinzen Gefolgschaft geschworen. hatte, sich von dem Herzog von Berry, dem Leutnant für Zentralfrankreich, kaufen ließ. Gegen den Preis von zehn Jahren Steuerfreiheit waren auch der Magistrat und die Bürger der Stadt gern bereit, die Seite zu wechseln. Limoges hißte das Lilienbanner über seinen Toren, und nach einer feierlichen Übergabezeremonie verließ der Herzog von Berry die Stadt. Eine kleine Garnison von hundert Lanzen ließ er in ihren Mauern zurück, zuwenig, um das, was folgen sollte, abzuwenden.
    Erzürnt durch den »Verrat«, schwor der Schwarze Prinz, daß die Stadt dies teuer bezahlen werde, und beschloß, ein Exempel zu statuieren, das weitere Lossagungen verhindern würde. Von der Bahre aus führte er eine starke Streitmacht gegen die Stadt, zwei seiner Brüder und die Elite seiner Ritter begleiteten ihn. Bergleute gruben Tunnel unter die Stadtmauern, die zunächst mit Pfählen
abgestützt wurden. Schlug man die Stützen heraus, stürzten ganze Teile der Mauer plötzlich ein. Die Angreifer strömten durch die Bruchstellen in die Stadt, besetzten die Ausgänge und Tore und begannen auf Befehl ein erbarmungsloses Massaker unter den Einwohnern ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht. Schreiend vor Schrecken fielen Menschen vor der Bahre des Schwarzen Prinzen auf die Knie, bettelten um Gnade, aber »er war so wutentbrannt, daß er sie nicht beachtete«, und sie wurden ein Opfer des Schwerts. Trotz seines Befehls, niemanden zu schonen, wurden einige bedeutende Persönlichkeiten gefangengenommen, um Lösegelder zu erpressen, darunter der Bischof, den der Prinz »wild und grausam« ansah und schwor, ihm den Kopf abzuschneiden. Durch einen Handel mit dem Bruder des Prinzen, Johann von Gaunt, entkam der Bischof indessen und trug seine schreckliche Geschichte nach Avignon.
    Die Ritter, die diesem Blutbad zusahen oder an ihm teilhatten, unterschieden sich in nichts von jenen, die so bewegt um Chandos geweint hatten. Die Kehrseite der oberflächlichen Emotionalität des 14. Jahrhunderts war eine allgemeine Gefühllosigkeit dem Anblick von Schmerz und Tod gegenüber. Chandos wurde betrauert, weil er einer der ihren war, während die Opfer von Limoges nicht zur Ritterschaft zählten. Im übrigen war das Leben nicht wertvoll, denn was war der Leib denn anderes als Aas und der Aufenthalt auf Erden anderes als eine Station auf dem Weg ins ewige Leben?
    Limoges wurde nach der Sitte der Zeit geplündert und niedergebrannt, seine Mauern wurden geschleift. Obwohl die blutgetränkte Geschichte der Stadt zweifellos die Opposition gegen die Engländer einschüchterte, nährte sie auf lange Sicht auch den Haß der Franzosen auf die Besetzer, den fünfzig Jahre später Jeanne d’Arc personifizieren sollte.
    Die Karriere eines Helden endete mit der Rache an Limoges. Zu krank, um noch weiter zu herrschen, übergab der Schwarze Prinz die Regierung von Aquitanien an seinen Bruder Johann von Gaunt und verließ Bordeaux im Januar 1371. Er sollte nie

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