Der ferne Spiegel
stehe, und Ihr seid durch Eid und Treue verpflichtet, Euch ehrenvoll in diesem Unternehmen zu verhalten. Tut Ihr dies nicht, so bin ich der entehrteste Mann in der Welt.« Aber die Kompanien weigerten sich aufzubrechen, sie murrten, der Rhein sei zu breit, um ohne Schiffe überquert zu werden, und überdies kenne niemand die Straßen auf der anderen Seite: »Niemand sollte Krieger aus einem guten Land hinausführen, wie Ihr es getan habt.«
Der Rhein, der bei Basel einen rechten Winkel beschreibt, brauchte in Wirklichkeit nicht überquert zu werden, um den Aargau zu erreichen, aber er hatte im Bewußtsein der Söldner eine unbestimmte mythische Qualität, die einer Grenze. Nach Froissarts Version war Coucy über die Meuterei »sehr melancholisch« und ging mit sich selbst als »einem weisen und weitsichtigen Ritter« zu Rate. Er rechnete mit der Möglichkeit, daß die Söldner ihn an den Herzog von Österreich verkauften, um zu ihrem Sold zu kommen, und »wenn er den Deutschen ausgeliefert würde, wäre er für immer
gefangen«. Mit nur zwei Begleitern brach er heimlich und »in Verkleidung« auf und war bereits zwei Tagereisen entfernt, bevor irgend jemand außer seinen engsten Beratern wußte, daß er fort war. Als er Frankreich erreichte, waren der König und seine Brüder »sehr erstaunt, ihn zu sehen, denn sie dachten, er sei in Österreich, und glaubten zuerst, drei Geister zu erblicken«. Coucy hatte keine Schwierigkeiten, die Affäre aufzuklären, »denn er war ein redegewandter Mann und hatte eine wahre Entschuldigung«. Er erzählte dem König und den Herzögen alles, was geschehen war, »damit sie sähen, daß er im Recht war und die Kompanien die Schuld trugen«.
Die Tatsache, daß nichts von all diesem wirklich geschah, illustriert die Problematik mittelalterlicher Chroniken für die Geschichtsschreibung. Coucy und die Kompanien rückten in Wirklichkeit in den Aargau ein; sie verließen das Elsaß am 25. November und marschierten nach Basel, wo sie drei Tage lang um die Stadt herumzogen, um ihre Stärke zu demonstrieren und wahrscheinlich auch, um jeden Widerstand gegen ihr Vorrücken über den Jura zu entmutigen. Der Bischof von Basel gab ihnen freies Durchgangsrecht, angeblich aus Haß auf Bern.
Aus der Nähe erwies sich die purpurne Dunkelheit des Jura als Kiefernwälder, die die niedrigeren Hügelketten bedeckten. Coucys Truppen ritten in ihren Kapuzen einen Strom entlang, der ihnen entgegen, nach Frankreich, floß, überschritten die Hügelketten, die Pässe bei Hauenstein und Balsthal, stiegen in die Täler hinab und raubten die Bergdörfer aus, bis sie an die Aare kamen, einen breiten Zufluß des Rheins, der die Grenze zum Aargau markierte. Sie trafen kaum auf Widerstand, denn die Grundherren des Landes flohen vor den Invasoren und suchten bei Leopold Schutz. Coucys Truppen eroberten Burgen und die alte hölzerne Brücke bei Olten.
Dringlich von Leopold aufgerufen, waren die Berner ausgerückt, um dem Feind entgegenzutreten, aber als sie sahen, daß der Adel seine Territorien im Stich ließ, wandten sie sich angewidert um und marschierten wieder nach Hause. Der ganze Aargau gab in tiefer Furcht das Land und die Dörfer auf und flüchtete in die Städte, die Gügler konnten sich im Lande frei bewegen. Erzürnt über den Ungehorsam der Berner, verwüstete Leopold rücksichtslos das Land vor dem vorrückenden Feind. Seine Leute verbrannten
die Felder, fällten Bäume und hinterließen eine solche Welle des Elends, daß kleine Dörfer den Winter kaum überleben konnten und die Bewohner Wölfe bekämpfen mußten, die aus den Wäldern kamen. Das verbitterte Volk verspottete die Österreicher, die »jenseits des Rheins sicher wie in einer Truhe lagen«. Sie klagten den Grafen Rudolph von Nidau und andere Adelsherren an, diesem Strom, der die Kantone verheeren würde, die Schleusen geöffnet zu haben.
Coucys Reiter lasen auf, was sie finden konnten. In drei Gruppen aufgeteilt, verbreiteten sie sich weiter und weiter in den Aargau hinein, getrieben von Hunger und Beutelust. Coucy richtete in der Abtei von St. Urban sein Hauptquartier ein, wo er nach den Aufzeichnungen des Klosters achtzehn Tage blieb. Die wichtigeren Städte des Aargaus hatte er zu Pfändern für den ihm verweigerten Anteil des Erbes seiner Mutter erklärt. Wäre er in der Lage gewesen, diese Städte einzunehmen, hätte er seine persönlichen Ziele vielleicht erreichen können, aber die weite Zerstreuung seiner Kräfte und die
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