Der ferne Spiegel
arbeitslos geworden, kehrten die Kompanien in Frankreich zu ihrem alten Geschäft der Plünderung zurück. Mehr als ein Jahr vorher, im Januar 1374, hatte die Krone durch einen umfassenden Erlaß versucht, die Briganten unter Kontrolle zu bringen. Der Erlaß stellte die Kompanien zu einem bestimmten Sold in den Dienst der Regierung, gab ihnen von der Krone ernannte Hauptleute, die schwören mußten, der Plünderei zu entsagen, und die für ihre Männer unter Androhung schwerer Strafen verantwortlich waren. Es war ein sorgfältig ausgeklügelter Versuch, aber die Kompanien waren zu sehr ein Teil des militärischen Systems, als daß sie so leicht zu entwurzeln oder zu zähmen gewesen wären. Das Brigantentum wütete weiter.
»Tief bekümmert« über diese Situation, suchte der König die Hilfe seiner Ratgeber. Sie »besannen sich auf den Sire de Coucy«. Er sollte der neue Rattenfänger sein, der die Briganten aus Frankreich hinaus in einen neuen Krieg führen konnte – in seinen. [Ref 220]
Coucys Streitigkeiten mit den Herzögen von Österreich und seine Entschlossenheit, sie zu einem Ende zu bringen, waren wohlbekannt. In dieser Sache konnte er Frankreich dienen, ohne seine Bindungen an England zu verletzen. Bureau de la Rivière und Jean le Mercier, der Kämmerer und der Schatzmeister des Königs, unterbreiteten ihm den Vorschlag. Wenn er die Kompanien von etwa 25 Hauptleuten aus allen Gegenden Frankreichs in seinen Dienst nähme, um sie gegen die Habsburger zu führen, würde der König 60 000 Pfund für die Kosten des Feldzugs bereitstellen. Vor allem sollte er die schlachterprobten Bretonen, die Gefolgsleute von Du Guesclin und Clisson, aufnehmen, die seit dem Ende des Kriegs schreckliche Verheerungen angerichtet hatten.
Coucy hatte in der Lombardei genug Erfahrungen mit Söldnern gesammelt, um ihn die Gefahren und Unwägbarkeiten eines solchen Kommandos zu lehren, auch wenn es ihm außerordentliche Hilfen für seine persönlichen Pläne einbrachte. Er war jetzt 35, reich genug, um in dem Jahr dem Herzog von Berry Geld zu leihen, aber nicht reich genug, aus eigener Kraft einen ganzen Feldzug gegen die Habsburger zu finanzieren. Er erklärte sich bereit, das große Aufräumen zu übernehmen.
Unter den Rittern und Briganten, die nun unter Coucys Fahnen strömten, war auch der berühmte und immer geschäftige Krieger Owen von Wales, dessen Vater König Eduard hatte hinrichten lassen und der am Hofe Philipps VI. aufgewachsen war. 1375 kam der in vielen Schlachten erprobte Owen gerade von der erfolgreichen Belagerung von St. Sauveur-le-Vicomte an der Küste der Normandie, wo zum erstenmal Kanonen in wirkungsvoller Weise eingesetzt worden waren. Vierzig »Maschinen«, große und kleine, die Eisen-, Leder- und Steinkugeln abschießen konnten, hatten zwar die Mauern nicht zerstören können, die Verteidiger aber so unter Druck gehalten, daß sie kapituliert hatten. »Die Maschinen deckten sie so ein, daß sie es nicht wagten, die Türme zu verlassen und in die Stadt zu gehen.« Sogar in einen Turm war eine Kugel eingedrungen
und mehrere Male zwischen den Wänden im Zimmer eines verwundeten englischen Hauptmanns hin- und hergesprungen, »als wäre der Donner selbst in seinen Raum geraten«, und hatte ihn davon überzeugt, daß seine letzte Stunde gekommen wäre.
Die Unternehmung wurde zu einem Magnet für ruhelose Schwerter, sogar hundert Ritter des Deutschen Ordens ließen ihren preußischen Sport des Bauernjagens im Stich, um zu Coucy zu kommen. Die Tinte auf dem Waffenstillstandsvertrag von Brügge war kaum trocken, als englische Ritter zum Treffpunkt aufbrachen, angezogen von der Tatsache, daß ein Schwiegersohn des englischen Königs den Feldzug anführte. Gutbewaffnet, auf schönen Pferden mit silbernen Zügeln, mit glänzenden Brustpanzern und Helmen und prächtigen, langen Mänteln, warfen die englischen Ritter, angeblich »sechstausend«, den Schatten ihres furchterregenden Rufes auf Coucys ganzes Heer, so daß der Feind es bald summarisch als »die Engländer« bezeichnete. [Ref 221]
Die Gesamtzahl von Coucys Aufgebot blieb vage, aber eindrucksvoll, denn sie rief ehrfürchtige Angaben von vierzig-, fünfzigtausend, ja sogar hunderttausend hervor. Schätzungen, die sich an der Zahl der Hauptleute orientieren, kommen auf etwa zehntausend, vergleichbar der Armee, die Du Guesclin nach Spanien führte. Eine elsässische Chronik nennt sechzehntausend Ritter »in Helmen und Kapuzen«. Die spitzen Helme und
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