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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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erreichten, war König Eduard tot. Er starb am 23. Juni, dem vorletzten Tag des Waffenstillstands. Das Jubiläumsjahr seiner Herrschaft war fast unbemerkt verstrichen, und sein Tod verursachte nur geringes Aufsehen. Die Parasiten der Macht verließen ihn noch vor dem Ende, darunter auch Alice Perrers, von der man sagte, sie habe ihm noch die Ringe von den Fingern gestreift, bevor sie ging. Ein zehnjähriges Kind bestieg den Thron und leitete die Zeit der Zwietracht ein, die ihren zerstörerischen Schatten über das nächste Jahrhundert
legen sollte und Langlands biblische Warnung bestätigte: »Wehe dem Land, dessen König ein Jüngling ist.«
    Isabella de Coucy wurde im April von Kurieren »wegen sehr dringlicher Geschäfte« aus Frankreich herbeigerufen und war an der Seite ihres Vaters, als er starb. Kurz vor dem Ende schickte sie Kuriere mit Nachrichten und »wichtigen Fragen« an Coucy. Am 26. Juni, noch vor der Beerdigung ihres Vaters, bat sie um Erlaubnis, nach Frankreich zurückzukehren, offensichtlich in dringenden Angelegenheiten. [Ref 239]
    Coucys Problem war nicht einfach die Frage nach seiner Zugehörigkeit; seine Lage wurde durch die englischen Besitzungen und Einkünfte, durch Verwandtschaftsbindungen, die zu jener Zeit enorm wichtig waren, und durch den Mitgliedseid der Ritter des Hosenbandordens erschwert. Es war nicht leicht, Treue, Verwandtschaft und Mitgliedschaft aufzugeben. Offensichtlich war es Coucy unmöglich, in der Politik Frankreichs eine große Rolle zu spielen, wenn er seine Neutralität aufrechterhielt. Er mußte nicht nur Partei ergreifen, er wollte es auch. Das Nationalgefühl war in den Jahren der französischen Erholung angewachsen. Dichter verherrlichten die vielen Städte der Picardie, der Normandie und Aquitaniens, die Karl zurückerobert hatte. »Nicht Roland, nicht Arthur noch Oliver«, ruft der Ritter in dem Songe du Vergier aus, einer politischen Allegorie des Jahres 1376, »hat jemals solche Waffentaten verrichtet wie Du durch Deine Weisheit, Deine Macht und Deine Gebete« (und, könnte man hinzufügen, durch Dein Geld). »Als Du den Thron bestiegst, reichten die Hörner und der Stolz Deiner Feinde bis an die Himmel. Mit Gottes Hilfe hast Du ihre Hörner gebrochen und sie tief gedemütigt.«
    Durch die polarisierende Wirkung des Krieges entwickelte sich ein Gefühl für die französische Nationalität. In einem Dialog zwischen einem englischen und einem französischen Soldaten, der 1370 von dem späteren Kardinal Pierre d’Ailly geschrieben wurde, erklärt der Engländer, daß zumindest die Normandie England gehören müßte. »Schweigt«, ruft daraufhin der Franzose, »das ist nicht wahr. Ihr könnt nichts auf dieser Seite der See halten außer durch Tyrannei; die See ist und bleibt eure Grenze.« Das war eine neue Idee. Lehnstreue und dynastische Verbindungen waren noch
immer die Form der Loyalität, aber das Land wurde zu ihrem Bestimmungsgrund. Ein französischer Adliger wie Harcourt hätte nicht mehr ohne Schuldgefühl die Engländer bei einem Überfall auf sein eigenes Land anführen können. Und auch Coucy konnte nicht länger mit einem Bein in England und einem in Frankreich stehen.
    Zwei Monate nach dem Tod König Eduards richtete Coucy eine formelle Verzichtserklärung auf »alles, was ich von Euch in Treue und Lehnspflicht halte«, an Richard II. [Ref 240] Die Botschaft trug das Datum des 26. August 1377 und wurde Richard von verschiedenen Rittern übergeben, die Coucy ausgesandt hatte, damit sie zum Zeugen seiner Handlung wurden. Der Brief kündigte die »Allianz« auf, die ihn mit »meinem hochgeehrten Herren und Vater, dem kürzlich gestorbenen König (dem Gott gnädig sein möge)«, verbunden hatte. Coucy fuhr fort:
    Nun, da es geschehen ist, daß der Krieg sich erhoben hat zwischen meinem natürlichen und souveränen Herren auf der einen und Euch auf der anderen Seite, was ich mehr betrauere als alles andere auf der Welt und wollte, es könnte vermieden werden, hat mein Herr befohlen und mich verpflichtet, ihm zu dienen und meine Pflicht zu tun, wie ich es muß; dem, wie Ihr wohl wißt, ich gehorchen muß; also werde ich ihm nach meinen besten Kräften dienen, wie es sein sollte.
    Weshalb, geehrter und mächtiger Herr, ich Euch mit dem Obengesagten bekannt mache, damit niemand in irgendeiner Art und Weise etwas gegen mich sprechen oder sagen möge oder gegen meine Ehre, und ich gebe Euch alles zurück, was ich von Euch in Lehnstreue halte.
    Und gleichfalls,

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