Der ferne Spiegel
Heimat, der Picardie, sondern in Languedoc im Kampf gegen die Gasconen. Dort schloß er sich dem Herzog von Anjou, dem Gouverneur von Languedoc, an, der wie Lancaster vom Ehrgeiz nach einer Krone getrieben war. In seinem Gefolge geriet Coucy in den schicksalhaften Kampf Anjous um das Königtum von Neapel.
Nach zwei Monaten von Belagerungen und Gefechten in der
Gascogne kehrte Coucy nach Paris zurück, um in der Eskorte des Kaisers zu dienen. Die Delegation, die Karl IV. bis Cambrai entgegenreiten sollte, schloß neben Coucy zwei der Räte des Königs ein, Rivière und Mercier, daneben eine große Zahl von Rittern. Am 22. Dezember traf die glänzende Gruppe von etwa dreihundert den Gast eine Meile vor Cambrai. Der Kaiser trug einen grauen Winterpelz und ritt ein graues Pferd, er wurde begleitet von seinem ältesten Sohn Wenzel, dem König von Böhmen. In der Stadt angekommen, stieg er mit einiger Schwierigkeit – er litt an der Gicht – vom Pferd und begleitete den Bischof zum Gebet in die Kirche. [Ref 244]
Da sich die Gicht des Kaisers während der Reise verschlimmerte, erlebte er den Einzug nach Paris nicht auf dem schwarzen Streitroß, das ihm der französische König hatte schenken wollen, sondern in der Sänfte der Königin. Die Garde des Vorstehers von Paris und zweitausend Kaufleute, Magistratsbeamte und Bürger, alle zu Pferd und gleich gekleidet in Weiß und Violett, erwarteten ihn, um ihn zum Treffen mit dem König zu geleiten. Gicht oder nicht Gicht, diese Zeremonie mußte er zu Pferd über sich ergehen lassen. Er wurde in den Sattel gehoben und nahm neben seinem Sohn die Parade ab, die sich vom alten Palast auf der Ile de la Cité her an ihm vorbeischob. Seit einer Generation hatte es in Paris keine solche Prozession mehr gegeben. Mit großer Umsicht war dafür gesorgt worden, daß trotz der großen Zuschauermengen jeder das Schauspiel sehen konnte. Wachen mit langen Holzstäben und Schwertern standen an jeder Kreuzung des Marschweges, und die Menschen wurden von Ausrufern schon einen Tag vorher aufgefordert, die Rue St. Denis nicht zu überqueren. Straßenschranken wurden aufgebaut, und Sergeanten gaben genaue Anweisungen, wann Fußgänger und Reiter die Straßen überqueren durften und wann nicht.
An der Spitze der Parade ritt der Marschall Sancerre mit seiner Wache, von denen jeder zwei Schwerter und einen Hut mit hohen Rüschen trug; ihnen folgten die Trompeter des Königs mit leuchtend bunten Wimpeln an den Trompeten. Die vier Herzöge von Berry, Burgund, Bourbon und von Bar – Gatte der Schwester des Königs und zukünftiger Schwiegervater von Marie de Coucy – ritten in Zweierpaaren hintereinander, gefolgt von zwölf Grafen, darunter
Coucy als Graf von Soissons, und einer langen Reihe von Prälaten, Adligen, Richtern, Räten und Beamten des königlichen Haushalts, jede Gruppe nach Rang und Funktion gleich gekleidet.
Zuletzt kam der magere, langnasige König. Er ritt einen Schimmel und trug einen pelzgefütterten scharlachroten Umhang und einen über der Stirn spitz zulaufenden Hut »nach der alten Mode«. Der Zug war so lang, daß er eine halbe Stunde brauchte, um den Palast überhaupt zu verlassen, und noch länger dauerte es, bis die beiden Herrscher einander zu Gesicht bekamen. Beide zogen die Hüte, als sie einander gegenüberstanden. In aller Vorsicht, um nicht die schmerzenden Beine seines Onkels zu streifen, ritt Karl V. zwischen den Kaiser und Wenzel, und so bewegten sie sich zu dritt nebeneinander durch die Stadt zum Palast. [Ref 245]
In einem goldverzierten Stuhl in jenem Innenhof, auf den einst der Vorsteher Marcel die Leichen der ermordeten Marschälle hinausgeworfen hatte, hörte der Kaiser eine Willkommensadresse seines Gastgebers an, legte dann im Inneren des Gebäudes Hut und Mantel ab und »sprach mit dem König in großer Freundschaft und Entzücken über dieses Treffen«. Die folgenden Tage waren erfüllt von Banketten, Konferenzen, Übergaben von Geschenken, darunter wertvolle Gaben der Kunstschmiede von Paris, Besichtigungen der Reliquien in der Sainte-Chapelle, die so reich geschmückt und erleuchtet war, daß sie jedem als »wunderbarer Anblick« erschien. Zwischendurch kamen die Herrscher zu privaten Unterredungen zusammen, darunter eine von drei Stunden, »bei der nicht einmal der Kanzler anwesend war«, wie der Chronist des Kanzlers vermerkte, »und was sie sagten, weiß niemand«.
Die Staatsessen zogen alle Register des 14. Jahrhunderts, um die Gäste zu
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