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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Verteidigungsanstrengungen des Adels nicht besonders an. Sir John Arundel, ein Ritter, der später zweifelhafte Berühmtheit erlangen sollte, verteidigte Hampton mit Erfolg mit einer Truppe von vierhundert Lanzen, aber erst, nachdem die Bürger seiner Forderung nach einer hohen Bezahlung in harter Münze entsprochen hatten. [Ref 242]
    Als Lancasters Burg von Pevensey, die an der Küste von Sussex lag, in Gefahr geriet, soll der Herzog nach Berichten des ihm feindlich gesinnten Walsingham zynisch gesagt haben: »Laßt die Franzosen
sie abbrennen, ich bin reich genug, sie wieder aufzubauen.« Die Bemerkung klingt erfunden und strahlt dieselbe Adelsfeindlichkeit aus, die schon jenem anderen klerikalen Chronisten, Jean de Venette, zu eigen war – und aus dem gleichen Grund: das Versagen der Ritter, Land und Leute gegen den Feind zu verteidigen. Es war kein Zufall, daß aus diesen überfallenen Grafschaften – Kent und Sussex – der Bauernaufstand hervorging.

KAPITEL 15
Der Kaiser in Paris
    D as spektakulärste, wenn auch nicht das bedeutendste Ereignis des Jahrzehnts in Frankreich war der Pariser Besuch des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches, Karls IV., vom Dezember 1377 bis zum Januar 1378. Coucy war erneut aufgerufen, wie bei der Hochzeit des Herzogs von Burgund, teilzunehmen und durch seine gesellschaftliche Grazie und Eleganz der Eskorte des Besuchers Glanz zu verleihen. In dem Juwelenglanz der majestätischen Prachtentfaltung kam Karls V. Herrschaftszeit an ihren Gipfelpunkt. Die Öffentlichkeit von Paris war beeindruckt und befriedigt von den prachtvollen Zeremonien, und der Propagandawert der Veranstaltung für das Prestige der Valois war den unschätzbaren Kosten wahrscheinlich gleichwertig.
    Obwohl mit Karl V. ein Valois bereits in der dritten Generation auf dem Thron saß, war der König wohl nicht ganz frei von Zweifeln an der Legitimität seines Titels, dies um so mehr, als seine Abstammung nach wie vor nicht unumstritten war. Aus solchen persönlichen, aber auch aus staatlichen Gründen galten seine ständigen Anstrengungen der Steigerung des Ansehens der Krone. In politischer Hinsicht strebte er mit der Einladung an den Kaiser die Isolation Englands an, aber er wollte auch territoriale Fragen und dynastische Verbindungen mit seinem Onkel, Kaiser Karl IV., klären. Die Verwandtschaft war ihm wichtig, auch wenn er wußte, daß sein Onkel ein kühler und im Ernstfall unzuverlässiger Rechner war. Vor allem aber gab ihm der Besuch Gelegenheit für jene grandiose öffentliche Darbietung, die dem mittelalterlichen Herrschertum so wichtig war. [Ref 243]
    In der Theorie übte der Heilige Römische Kaiser eine weltliche
Macht aus, die der geistlichen Herrschaft des Papstes über die ganze Gemeinde der Christenheit entsprach. Obwohl einige Relikte des kaiserlichen Ansehens noch überlebt hatten, waren Titel und Theorie von der geschichtlichen Wirklichkeit weit entfernt. Die Souveränität des Kaisers in Italien war nur noch Fassade; im Westen: Holland, Hainault und Luxemburg, war sie im Schwinden, und im Osten wich sie vor der wachsenden nationalen Selbständigkeit von Böhmen, Ungarn und Polen allmählich zurück. Kern des Reiches war eine buntscheckige Föderation von deutschen Fürstentümern, Herzogtümern, Städten und Diözesen unter wechselnden Herrschaftshäusern. Habsburger und Luxemburger, Hohenstaufer, Hohenzollern und Wittelsbacher überzogen einander mit endlosen Fehden; der Ritter lebte vom Raub am Kaufmann; jede Stadt glaubte, ihre Wohlhabenheit hinge vom Ruin ihrer Rivalin ab; innerhalb der Städte kämpften Kaufleute und Handwerkszünfte um die Macht; eine ausgebeutete Bauernschaft lebte in schwelendem Zorn, der periodisch in die Flammen des Aufstands umschlug. Das Kaiserreich hatte keinen politischen Zusammenhalt, keine gemeinsamen Gesetze, keine Hauptstadt, keine gemeinsamen Finanzen und keine gemeinsamen Beamten. Es war der Überrest einer toten Idee.
    Kaiser Karl IV. war klug genug zu wissen, daß das Reich, dessen titulärer Herrscher er war, nicht das Reich Karls des Großen war. Seine Sorge galt dem Königreich Böhmen, dessen Expansion und kulturelle Entwicklung er mit solcher Energie vorantrieb, daß ihm der Beiname »Vater Seines Landes« gegeben wurde. Er selbst repräsentierte jene nationalen Tendenzen, die seinen kaiserlichen Titel obsolet machten.
     
    Während Paris sich auf den Empfang des Kaisers vorbereitete, trat Coucy aktiv in den Krieg gegen England ein, nicht in seiner

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