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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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ein Nachkomme Eduards I., war weit davon entfernt, sich in seiner eigenen Diözese Befehle geben zu lassen.
    »Ich werde Euch beugen, Euch und all die anderen Bischöfe«, knurrte Lancaster. In der Zuschauermenge entstand Unruhe, Drohungen wurden Lancaster zugeschrien, der seinerseits drohte, die Störer festnehmen zu lassen. Courtenay sagte ihm, wenn er das in der Kathedrale täte, werde er ihn exkommunizieren. »Noch einmal so etwas«, hörte man den Herzog murmeln, »und ich werde Euch
an den Haaren aus der Kirche schleifen lassen.« Die Wut der Menge schlug über ihnen zusammen, und der Herzog und der Marschall hielten es für klüger, sich zurückzuziehen. Wyclif hatte noch nicht einmal gesprochen. Lancaster war es gelungen, das Verfahren wie geplant zu unterbrechen, aber zu einem hohen Preis: Die öffentliche Meinung in London kehrte sich zunehmend gegen ihn, nicht gegen die Bischöfe.
    London kochte, und als sich die Nachricht verbreitete, daß Percy einen Bürger hatte verhaften lassen, weil der den Herzog beleidigt hatte, sammelte sich ein Mob in Lynchstimmung vor dem Savoy-Palast. Auf dem Wege dorthin schlug eine Gruppe einen Priester tot, der schlecht über Peter de la Mare gesprochen hatte. Lancaster und Percy, die im Savoy über einem Austernessen saßen, wurden gewarnt und flohen in einem Boot die Themse hinunter. Sie suchten in den heiligen Hallen der Prinzessin von Wales Zuflucht, wohin sie niemand zu verfolgen wagen würde. Inzwischen war Bischof Courtenay, der eine Katastrophe fürchtete, für die ihm die Schuld aufgeladen werden würde, zum Savoy geeilt. Es gelang ihm, die Menge zu beruhigen.
    Nach seiner demütigenden Flucht forderte Lancaster eine formelle Entschuldigung der Stadt. Die Prinzessin bat die Bürger, sich ihr zuliebe mit dem Herzog zu versöhnen; die Souveränität des Königs wurde beschworen; die Behörden von London erreichten die Freilassung von Peter de la Mare als Gegenleistung für ihre Entschuldigung; die Geistlichkeit gewann die Ämter des Kanzlers und Schatzmeisters zurück. Die Affäre aber hatte die Gräben zwischen den Fraktionen vertieft und den Staat weiter auseinandergerissen.
    In der Aufregung in der St.-Paul’s-Kathedrale war Wyclifs Sache gar nicht zur Sprache gekommen. Die englischen Kirchenfürsten, hin und her gerissen zwischen ihren klerikalen Interessen und ihrem Nationalgefühl, mögen bereit gewesen sein, die Angelegenheit ruhen zu lassen, nicht aber der Papst. Im Mai gab Gregor XI. fünf Bullen heraus, die an den englischen Episkopat, den König und die Universität Oxford gerichtet waren, Wyclifs Irrtümer verdammten und seine Festnahme forderten. Jede Diskussion seiner ketzerischen Lehren sollte unterdrückt, und alle, die sie unterstützten,
sollten aus dem Amt gejagt werden. So kam ein explosiver religiöser Streit zu den anderen Auseinandersetzungen hinzu. Das neue Parlament war betont antipapistisch; der König, der von Falken und von der Jagd faselte, statt sich um die dringenden Bedürfnisse seiner Seele zu kümmern, lag im Sterben. Während England unruhig auf den Thronwechsel wartete, hielten die Bischöfe das Verfahren gegen Wyclif zurück.
     
    In Frankreich trafen sich die Unterhändler zu einem letzten Gespräch im Mai in der uralten Burg von Montreuil. Die Kanzler beider Länder nahmen teil: Pierre d’Orgement für Frankreich und der Bischof von St. David für England. Friedensbedingungen wurden ausführlich in einer offenen Sitzung diskutiert, die Karl V. gewollt hatte, damit sein letztes Angebot formell unterbreitet und klar beantwortet werden konnte. Diese Antwort bekam er nicht. Sein Angebot war großzügig, soweit es Lehen an englische Herren betraf, aber fest in der Verweigerung jeder englischen Souveränität über irgendeinen Teil Frankreichs einschließlich von Calais. Die Engländer verhüllten ihre Ablehnung in ausweichenden Stellungnahmen, sie behaupteten, nicht die Ermächtigung zu besitzen, ohne Absprache mit dem König zu entscheiden. Wie die darauffolgenden Ereignisse bewiesen, müssen die Franzosen zu diesem Zeitpunkt begonnen haben, sich auf kriegerische Handlungen vorzubereiten. Während die Verhandlungen langsam versandeten, starb die kleine Prinzessin Marie in Paris, was die Heiratspläne mit Prinz Richard vereitelte. Die Gesandten gingen auseinander, ohne sich auf Ort und Zeit einer neuen Runde geeinigt zu haben und ohne Verlängerung des Waffenstillstands. [Ref 238]
    Als die englischen Unterhändler die Heimat

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