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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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»Gegenstand der Satire und des Gelächters aller Völker der Welt, und sie erfanden jeden Tag neue Spottverse auf sie«.
    Mehr als jeder andere Herrscher war Karl V. für das Schisma verantwortlich, denn nur durch die Unterstützung Frankreichs
konnte Klemens überhaupt Fuß fassen. Der erkannte diese Schuld an, indem er dem König ein Drittel der kirchlichen Einkünfte in Frankreich überließ. Alles in allem verdunkelte Karls Entscheidung für Klemens die Leistungen, die er für den Wiederaufstieg Frankreichs erbracht hatte. In dem einzigen Gedanken, die französische Beherrschung des Papsttums wiederzugewinnen, hatte er geglaubt, einen Kandidaten durchsetzen zu können. Obwohl er den Beinamen »der Weise« trug, war auch er nicht immun gegen jene Krankheit der Herrschenden: die Überschätzung ihrer Macht, Ereignisse zu kontrollieren.
    Niemand war ein eifrigerer Klementist als der Bruder des Königs, der Herzog von Anjou. Sobald er von Klemens’ Wahl erfuhr, ließ er sie in den Straßen von Toulouse verkünden, in der Kathedrale eine Messe lesen und ein Tedeum in allen Kirchen von Languedoc singen. Als Klemens’ Armee in Italien von Urbans Truppen geschlagen wurde, wandte sich der französische Papst an den Herzog und bat ihn um militärische Hilfe. Dessen Soldforderung war ein Königreich. [Ref 263]
    Nach einem Vertrag zwischen den beiden, der in der Bulle vom 17. April 1379 bestätigt wurde, sollte der Herzog von Anjou die päpstlichen Staaten in Italien erobern und den größeren Teil von ihnen (mit der Ausnahme von Rom und Neapel) in einem Königreich Adria (nach dem Adriatischen Meer) zusammenfassen. Dieses Königreich sollte Ferrara, Bologna, Ravenna, die Romagna, die Mark Ancona und das Herzogtum von Spoleto umfassen. Es sollte ein Lehen des Heiligen Stuhls sein und jährlich 40 000 Franken Abgaben zahlen. Dem Herzog wurde eine Frist von zwei Jahren eingeräumt, um Geld und Truppen zu sammeln, aber falls er diese Frist um mehr als zwei Monate überschritte, ohne eine Expedition nach Italien geführt oder einen »fähigen General« entsandt zu haben, sollte der Vertrag verfallen.
    Adria war ein Königreich in den Wolken. Wenn in all ihren Schlachten die päpstlichen Truppen daran gescheitert waren, die Kontrolle über die Patrimonie des Heiligen Stuhls zurückzugewinnen, gab es keinen Grund anzunehmen, daß einem französischen Fürsten dieses gelingen könnte. Aber eine Überschätzung ihrer Macht hatte die französische Politik in zunehmendem Maße ergriffen;
Nüchternheit und Realismus waren ihr abhanden gekommen. Zunächst war die Hilfe des Herzogs von Anjou in Italien dringend erwünscht, um die Königin Johanna auf dem Thron von Neapel zu halten, Klemens’ einzigem Brückenkopf dort. Um das Interesse des Herzogs zu schärfen, wurde Anjou – ein entfernter Vetter der kinderlosen Königin – zu ihrem Erben ernannt. Neapel lockte, und das Schicksal des Herzogs lag nun in Italien, wohin er Coucy bald mitziehen sollte.
    Um nun, da die königliche Politik Klemens verpflichtet war, die französische Öffentlichkeit hinter dem Papst von Avignon zu sammeln, veranstaltete Karl V. im April und Mai 1379 eine Reihe von großen Versammlungen in Paris, um Würdenträgern und Bürgern der Stadt die Ungültigkeit der Wahl Urbans nahezubringen. Die Universität von Paris allerdings war mit der königlichen Entscheidung für Klemens nicht zu versöhnen. Die Doktoren der Theologie, weniger berührt von den Kompromissen weltlicher Politik, beugten sich dem königlichen Willen nicht so leicht wie die Bischöfe. Für sie war die Nachfolge Petri eine ernste Angelegenheit. Unter hartem Druck der Krone akzeptierten sie formal Klemens am 30. Mai, aber die Zustimmung war mürrisch, nicht einstimmig, ein Vorläufer kommenden Unheils. Nach dem Tod Karls V., zwei Jahre später, verabschiedeten alle vier Fakultäten eine Entschließung, die zu einem Konzil aufrief, um dem Schisma ein Ende zu setzen. Obwohl ihre Autorität nicht definiert war, hatte es im Laufe der Kirchengeschichte fünfzehn solche Konzile bereits gegeben, meist wenn wichtige Fragen der Lehre zur Debatte standen. Der Aufruf der Universität wurde von dem Theologen Jean Rousse dem Herzog von Anjou, der nun Regent war, übergeben. Als einschüchterndes Exempel und um jede Diskussion im Keim zu ersticken, ließ der Herzog Rousse verhaften und im Châtelet festsetzen. Diese Beleidigung der Geistlichkeit und der Universität verursachte einen Skandal, der auch dann

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