Der ferne Spiegel
dem das Herzogtum seinen grimmigen Unabhängigkeitssinn demonstrierte. Der alte, endlose Streit war neu entfacht, und da Montfort mit dem Grafen von Flandern in geheimem Einverständnis stand und dieser mit England, mußte Karl die Möglichkeit einer neuen Invasion von Norden her fürchten. In dieser Situation rückte Coucys Baronie, die das nördliche Einfallstor des Königreichs überwachte, in den Mittelpunkt seiner Überlegungen.
Um die Verehelichung Maries, der einzigen Erbin der Baronie, wurde zu dieser Zeit gerade verhandelt. Im Alter von dreizehn Jahren war sie eine von drei Kandidatinnen – neben Yolande de Bar, einer Nichte des Königs, und Catherine von Genf, einer Schwester des Papstes Klemens – für die Ehe mit dem kurze Zeit zuvor verwitweten Sohn des Königs von Aragon. Als Königssohn blieb man nicht lange Witwer. Bereits acht Tage nach dem Tod seiner Frau sandte der spanische Prinz die Beauftragten aus, um die Bedingungen bei allen drei Kandidatinnen zu erkunden. Als Yolande erwählt wurde, heiratete Marie wenig später Yolandes Bruder Henri de Bar, den ältesten Sohn des Herzogs von Bar und der Marie von Frankreich, der Schwester Karls V. Die Verbindung mit dem Erben eines großen Herzogtums an den Grenzen Lothringens entsprach den hohen Erwartungen und Ansprüchen der Coucys. [Ref 272]
Entweder aus Stolz auf diese neue königliche Verbindung oder aus Genugtuung über seinen Erfolg in der Normandie gründete Coucy zu dieser Zeit einen eigenen Ritterorden, den er in der großen Manier derer von Coucy den »Orden der Krone« nannte. Deschamps, der den neuen Orden in einem Gedicht feierte, wies darauf hin, daß die Krone nicht nur Größe und Macht symbolisierte, sondern auch die Würde, Tugend und die edlen Umgangsformen, die einen König umgeben. Die Spitzen der Krone waren die »zwölf Blumen der Herrschaft«: Treue, Tugend, Mäßigung, Gottesfurcht, Umsicht, Wahrhaftigkeit, Ehre, Stärke, Barmherzigkeit, Gnade, Loyalität und Freigebigkeit, die »auf alle herabstrahlen«. Nach 1379 zeigen Coucys Siegel einen gemusterten Hintergrund aus kleinen Kronen und eine stehende Gestalt, die eine Krone – aus heute ungeklärten Gründen – verkehrt herum hält. Trotz seines exaltierten Namens war der Orden im Geist demokratisch: Damen waren zur Mitgliedschaft ebenso zugelassen wie Fräulein und Knappen.
1379 starb Isabella in England, und Coucy war nun frei, eine neue Ehe einzugehen. Weniger überstürzt als der Prinz von Aragon oder auch zu beschäftigt, blieb er indessen sieben Jahre ledig.
Der neue Herrscher brachte den Engländern nicht mehr Glück im Krieg. Die Seehoheit auf dem Kanal, die noch Eduard III. wie selbstverständlich gehalten hatte, war durch Karls V. beständige Allianz mit der Seemacht Kastilien und durch seine eigenen Anstrengungen, eine Flotte aufzubauen, verlorengegangen. Als eine Streitmacht, angeführt vom Herzog von Lancaster, es schließlich schaffte, in der Nähe von Saint Malo zu landen, widerstand diese Stadt der Belagerung erfolgreich und rieb die Truppen des Herzogs auf, so daß er gezwungen war, in einer dunklen Wolke des Scheiterns die Heimfahrt anzutreten. »Und im gemeinen Volk von England erhob sich ein Gemurmel gegen den Adel, daß alles, was er in diesem Jahr verrichtet habe, wenig fruchtvoll gewesen.« Der erfolglose Krieg zog mehr als nur Gemurmel nach sich. Während der Herzog von Lancaster in der Bretagne steckenblieb, wurden englische Kauffahrteischiffe ungehindert von französischen und schottischen Piraten belästigt oder aufgebracht. Als die Kaufleute sich beim König beschwerten, antworteten die Adligen und Prälaten des Thronrates, daß die Verteidigung Aufgabe von Lancaster und seiner Flotte sei. [Ref 273]
Daraufhin sammelte ein reicher Stadtrat und späterer Bürgermeister von London, John Philpot, eine Privatflotte mit eintausend Matrosen und Soldaten und segelte gegen die Piraten. Tatsächlich gelang es ihm, eine Reihe von Piratenschiffen zu kapern und deren Besatzungen als Gefangene nach London zu führen. Dort wurde ihm eine triumphale Begrüßung zuteil, zugleich aber wurde er vor den Thronrat geladen, um sich dafür zu verantworten, daß er ohne die Erlaubnis des Königs gehandelt hatte. Seine wütende Antwort faßt die wachsende Erbitterung des dritten Standes über die wenig überzeugenden Leistungen des zweiten zusammen. Er habe sein Geld und das Leben seiner Männer eingesetzt, sagte Philpot, nicht um den Adel zu beschämen oder
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