Der ferne Spiegel
Zeiten von Du Guesclin und Coucy befehligt wurden, stand und blieb in englischer Hand.
Mit dieser Ausnahme hatte Karl von Navarra bis zum Ende des Jahres 1378 all seine Städte und Ländereien in der Normandie verloren. Mauern und Befestigungsanlagen wurden geschleift, auf
daß seine Festungen nie wieder von Feinden Frankreichs gehalten werden könnten. Im Süden nahm ihm der Herzog von Anjou die Domäne Montpellier, seinen letzten Besitz in Frankreich. Nach dreißig Jahren zwanghafter Umtriebigkeit schließlich unschädlich gemacht, war Karl von Navarra nun verurteilt, ein letztes ärmliches und freudloses Jahrzehnt in seinem Bergkönigreich zu verleben, das so viel zu eng für seine Seele war – als hätte man Satan in einen Schafstall gesperrt.
Berühmte Ritter, die Coucys Begleiter in späteren Unternehmungen werden sollten, nahmen an verschiedenen Episoden des Feldzugs in der Normandie teil, unter ihnen der Bruder der verstorbenen Königin, der gutmütige Ludwig, Herzog von Bourbon; auch der energische neue Admiral Jean de Vienne und vor allem der einäugige Olivier de Clisson, der eine bretonische Kompanie nach Evreux führte, um Coucy zu verstärken. Entweder zu dieser Zeit oder später verbanden sich diese beiden ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten in Waffenbrüderschaft, einer formvollen Verabredung, die gegenseitige Hilfe und die Teilung von Beute und Lösegeldern vorsah. [Ref 268]
Clisson stammte aus einer unruhigen Familie, die an den ständigen Kämpfen in der Bretagne auf beiden Seiten teilnahm. Sein Vater, der des Einverständnisses mit Eduard III. überführt worden war, wurde von Philipp VI. geköpft, der ihn mitten aus einem Turnier heraus hatte verhaften, ins Gefängnis werfen und ohne Prozeß direkt zur Richtstätte führen lassen. Von der Gattin des Opfers erzählte man, sie sei mit dem abgeschlagenen Kopf ihres Mannes in die Bretagne gereist, um ihn ihrem siebenjährigen Sohn zu zeigen und ihm den Eid abzunehmen, seinen Vater unbarmherzig an Frankreich zu rächen. Dann entkamen die beiden in einem offenen Boot, vom Sturm verschlagen und hungernd, nach England, wo Eduard, der sich sehr bemühte, die Loyalität der Bretonen zu gewinnen, die Witwe und ihren Sohn mit Gunsterweisen und Ländereien überhäufte.
Olivier wurde am englischen Hof zusammen mit dem jungen Johann von Montfort, seinem Herzog, aufgezogen, dessen Eifersucht und Ablehnung er erwiderte. In Verfolgung seines Racheschwurs
focht er mit unglaublicher Wildheit bei Reims, Auray, Cocherel und Najera in Spanien gegen die Franzosen. Er schwang seine zweihändige Streitaxt mit solcher Gewalt, daß man sagte, »niemand, der von ihm getroffen wurde, stand je wieder auf«, aber er konnte auch die Axt eines Feindes nicht abwehren, die ihm den Helm durchbrach und das Auge nahm. Im Laufe des Krieges in der Bretagne erzürnte Montfort Clisson dadurch, daß er John Chandos begünstigte, und als der Herzog Chandos zur Belohnung eine Stadt und Burg zusprach, sagte sich Clisson in fürchterlichem Zorn von Montfort los, eroberte und schleifte die Burg, die Chandos zugedacht war, und erbaute aus den Steinen eine neue für sich.
Karl V. hatte ihm die Ländereien zurückerstattet, die nach der Verurteilung seines Vaters beschlagnahmt worden waren, hatte ihn mit Geschenken umworben, ihm sogar Wildbret »als einem Freund« geschickt. Ob es nun diese durch materielle Zuwendungen gestützten Überredungskünste des französischen Königs waren oder, wie Olivier behauptete, die Arroganz der Engländer gegenüber den Franzosen, die er nicht mehr ertragen konnte – jedenfalls trat Olivier 1369 zu den Franzosen über und wandte nun seinen Grimm gegen die früheren Verbündeten. Der erreichte einen Höhepunkt, als er erfuhr, daß sein im Kampf verwundeter und von den Engländern gefangener Schildknappe von den Feinden erschlagen worden war, als sie entdeckten, daß er zu Clisson gehörte. Olivier schwor einen gewaltigen Eid, »bei der Mutter Gottes dies ganze Jahr hindurch weder morgens noch abends einen Engländer zu schonen . . .«. Am folgenden Tag griff er eine englische Festung, obwohl er keine Belagerungsmaschinen hatte, mit solcher Wildheit an und eroberte sie in einem solchen Massaker, daß nur fünfzehn Verteidiger überlebten. Die ließ er in einem Turm einschließen, befahl dann, sie einzeln herauszulassen, und schlug einem nach dem anderen, als sie aus der Tür traten, mit einem einzigen Schlag seiner großen Streitaxt den Kopf ab, so
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