Der ferne Spiegel
daß zur Rache seines Knappen schließlich fünfzehn Köpfe zu seinen Füßen rollten.
Der kühle Coucy und der wilde Bretone müssen ineinander Ergänzendes gefunden haben, denn diese beiden mächtigen Freiherren gingen nach Clissons Biographen »immer in vollkommener Harmonie« [Ref 269] miteinander um. Zu dieser Zeit hatte Coucy gerade
unter schockierenden Umständen seinen Kameraden der Schweizer Expedition, Owen von Wales, [Ref 270] verloren. Während Coucy in der Normandie war, führte Owen die Belagerung von Mortagne, am Atlantik an der Girondemündung gelegen. An einem klaren und schönen Morgen stand Owen früh auf, setzte sich nur im Hemd auf einen Baumstumpf und blickte auf die Burg und die Landschaft hinaus, während er sich, wie es seine Gewohnheit war, von seinem walisischen Knappen die Haare kämmen ließ. Dieser Mann, James Lambe, war erst kürzlich als ein Landsmann in seine Dienste aufgenommen worden. Er hatte ihm Neuigkeiten aus der Heimat überbracht, auch die Nachricht, daß »das ganze Land von Wales ihn mit Freuden zum Herrn haben wollte«. James Lambe stand an diesem stillen Morgen, bevor noch irgend jemand sonst auf den Beinen war, hinter seinem Herrn, zog einen spanischen Dolch und stieß ihm den in den Rücken, »durchbohrte ihn, so daß er ganz tot niederfiel«.
Der Attentäter war sicherlich von den Engländern gedungen, möglicherweise um in Wales keine Unruhen aufkommen zu lassen oder auch aus Rache für den Tod des Hauptmanns de Buch im französischen Kerker, der von Owen gefangengenommen worden war. Wenn es so war, dann war dies ein überraschend ehrloser Schlag gegen einen unbewaffneten Mann, was auch der englische Hauptmann des belagerten Mortagne empfand, dem Lambe von seiner Tat berichtete. »Er schüttelte den Kopf und blickte ihn grausam an und sagte: ›Ah, du hast ihn gemordet . . . Wenn auch diese Tat zu unserem Nutzen ist . . . werden wir daraus mehr Tadel als Lob gewinnen. ‹« Karl V. war voller Wut über das Attentat, wenn er auch die Beseitigung Owens, eines Freibeuters, der viele Frevel auf sich geladen hatte, nicht ohne Erleichterung zur Kenntnis nahm. Der Mord spiegelte eine neue Art von Feindseligkeit wider, die aus dem Krieg erwuchs. Gedungene Attentäter innerhalb der Bruderschaft der Ritter waren eine Neuerung des 14. Jahrhunderts.
Etwa nach der ersten Hälfte des Feldzuges in der Normandie war Coucy an die Grenze Frankreichs mit Flandern entsandt worden, wo neue Gefahren drohten, um dort die Verteidigung zu verstärken. Der Graf von Flandern, der in seiner Jugend – als er vor Isabella
davonlief – Frankreich zugeneigt gewesen war, hatte sich aus ökonomischen Interessen längst wieder den Engländern genähert. Er erschien den Franzosen nun als eine direkte Bedrohung, weil er dem Herzog der Bretagne, der sich den Engländern angeschlossen hatte, Asyl gewährte. König Karl V. war nun entschlossen, das Problem der Bretagne ein für allemal zu lösen, indem er das Herzogtum Montfort aus Gründen der »Felonie«, des Bruchs der Lehnstreue, entzog. In dem Glauben, daß die Mehrheit des bretonischen Adels profranzösisch sei, plante er, das Herzogtum mit der Krone Frankreichs unter Montforts Rivalen Jeanne de Penthièvre zu vereinen. Aber statt das bretonische Hornissennest zu beruhigen, versetzte er es durch diesen Plan nur in Aufruhr.
Im Dezember 1378 wurde vor einem zeremoniellen Gerichtshof in Anwesenheit des Königs das Verfahren gegen Montfort eröffnet – in absentia , denn er ignorierte die Vorladung. Froissart erwähnt besonders Enguerrand VII. von Coucy als einen »Pair von Frankreich«, der einer der vier Barone unter den Richtern war. Der königliche Türsteher, nachdem er Montfort dreimal laut aufgerufen hatte – an der Tür zum Tagungsraum, im Hof und am Tor des Palastes –, meldete pflichtgetreu: »Er ist nicht hier.« Der Prokurator las die Anklageschrift, zitierte die Verrätereien des Herzogs, die Verbrechen, »Verletzungen und Ärgernisse« einschließlich des Mordes an einem Priester, der ihm gesandt worden war, um ihm die Vorladung zu übergeben. (Nach Art der Visconti hatte Montfort den Gesandten mit seiner Vorladung um den Hals im Fluß ertränken lassen.) Nach einer legalistischen Erörterung von enormer Länge über die Rechte des Herzogtums wurde Montforts Titel für nichtig erklärt, und der König rief die Vereinigung der Bretagne mit der Krone aus. [Ref 271]
Karls Irrtum trat sofort in einem spontanen Aufstand zutage, mit
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