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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Verteidigung von Languedoc oder des Königreichs auf. Um für den Ausfall an Steuergeldern durch die Verminderung der Haushalte im Gefolge des Schwarzen Todes einen Ausgleich zu schaffen, hob er jedes Jahr die Steuern pro Haushalt an, aber das Volk empfing dafür keine Gegenleistungen. Räuberische Kompanien suchten immer noch die Täler heim und zwangen die Dörfer, für die Verschonung von Plünderung hohe Lösegelder zu zahlen. 1378 wurden Lebensmittelsteuern eingeführt, die am stärksten auf den Armen lasteten. Als Steuereintreiber mit der Praxis von Hausdurchsuchungen begannen, kam Schmach zum Elend hinzu.

    »Wie können wir so leben?« riefen protestierende Gruppen, die sich vor dem Standbild der Heiligen Jungfrau sammelten, um ihre Hilfe zu erflehen. »Wie können wir uns und unsere Kinder ernähren, da wir schon jetzt die schweren Steuern, die die Reichen uns zu ihrem Genuß auferlegt haben, nicht bezahlen können? « Aufstände und Unruhen verbreiteten sich und mündeten im Juli 1379 in eine Revolte, als der Rat des Herzogtums eine neue Steuer von zwölf Franken pro Haushalt beschloß, ohne die Stände einzuberufen. Der Herzog selbst war zu der Zeit nicht im Lande, er führte Krieg in der Bretagne. Der Zorn seiner überlasteten Untertanen entlud sich mit außergewöhnlicher Gewalttätigkeit gegen alle herrschenden Kreise: königliche Beamte, Adlige, die bürgerliche Oberklasse in den Stadträten. »Bringt die Reichen um!« war der Kampfruf der Aufständischen, wie der Seigneur von Clermont später berichtete. »Seigneurs und andere gute Männer des Landes und der Städte«, sagte er, »waren in Todesfurcht« und in jener anderen Furcht, die noch jede Revolte erweckte, »daß, wenn diese schändliche Unverschämtheit des gemeinen Volkes nicht streng unterdrückt werde, Schlimmeres folgen müßte.« [Ref 276]
    In Le Puy, Nîmes, Clermont und anderen Städten formierte sich das Volk in bewaffneten Banden, plünderte die reichen Haushalte, erschlug die Beamten der Stadt und beging Greueltaten – darunter sogar, wie ein Bericht überliefert, Kannibalismus. »Sie schnitten mit ihren Messern Leiber auf und fraßen wie die Tiere das Fleisch getaufter Menschen.« Im Oktober erreichten die Unruhen in Montpellier einen Höhepunkt, als fünf Räte des Herzogs und achtzig Bürger der Stadt getötet wurden. Die Aufständischen sandten Botschaften ins Land, um eine allgemeine Revolte auszulösen, aber ohne die industrielle Basis und auch ohne die Traditionen Flanderns wurde die Bewegung zu einem bloßen Strohfeuer. Papst Klemens VII., der auf die Unterstützung des Herzogs angewiesen war, entsandte sofort den Kardinal Albano, der aus Languedoc stammte, um die Leute zu beruhigen und sie vor der fürchterlichen Bestrafung für Majestätsbeleidigung zu warnen. Bereits erschrocken über ihre eigenen Taten, ließen sich die Führer des Aufstands bewegen, sich der Gnade des Königs zu unterwerfen.

    Was nun in Montpellier geschah, war ein bewußt inszeniertes Drama. Am Tag der Rückkehr des Herzogs von Anjou führte der Kardinal eine riesige Prozession aller Bürger über vierzehn durch die Stadt und aus dem Stadttor hinaus. Dort stellten sie sich zu beiden Seiten des Weges auf, sanken auf die Knie und riefen »Gnade«, als der Herzog und seine Soldaten an ihnen vorbeiritten. Die Schlüssel der Stadt und der Klöppel der großen Glocke wurden demutsvoll übergeben. Während der nächsten zwei Tage wurden auf Anjous Befehl alle Waffen abgeliefert und die Hauptgebäude der Stadt den Bewaffneten des Herzogs übergeben.
    Dann verkündete er von einer Plattform aus, die auf dem Marktplatz im Zentrum errichtet worden war, das grausame Urteil: sechshundert Bürger zum Tode verurteilt – ein Drittel durch Hängen, ein Drittel durch Köpfen, ein Drittel auf dem Scheiterhaufen, ihr Besitz beschlagnahmt und ihre Kinder zu lebenslangem Dienst verurteilt. Die Hälfte des Besitzes aller anderen Bürger sollte eingezogen werden, und eine Strafe von 6000 Franken zuzüglich der Ausgaben, die der Aufstand dem Herzog verursacht hatte, sollte über die Stadt verhängt werden. Die Mauern und Tore der Stadt sollten geschleift werden, die Universität alle Rechte, alles Eigentum und ihre Archive verlieren.
    Ein großer Aufschrei begrüßte diesen Urteilsspruch, der Kardinal und die Prälaten plädierten »sehr liebevoll« für das Volk, Frauen und Kinder knieten und heulten. Am folgenden Tag wurde ein abgemilderter Urteilsspruch verkündet, der

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