Der ferne Spiegel
ritterlichen Ruhm für sich selbst zu suchen, sondern »aus Mitleid mit dem Elend des Volkes und des Landes, das vom Status eines edlen und über andere Nationen herrschenden Königreichs durch eure Gleichgültigkeit den Verwüstungen unter den Händen der übelsten Rasse ausgesetzt worden ist. Da ihr keine Hand zu seiner Verteidigung gerührt habt, habe ich mich selbst und mein Eigentum für die Sicherheit und Erlösung
unseres Landes eingesetzt.« Auch wenn Philpot und seine Kaufmannskollegen wohl eher im Interesse der Sicherheit und Erlösung ihres Handels gekämpft hatten – ihre Beschwerde über die Verteidiger des Landes war deshalb nicht weniger gültig.
Da der Krieg beiden Seiten keine Erfolge brachte, wuchs die Friedensbereitschaft. Die Wiedereröffnung der Feindseligkeiten in der Bretagne wog für Frankreich den Sieg in der Normandie auf, und das Schisma hatte auch andernorts die Temperatur der Interessenkonflikte erhöht. Karl V., der sich seiner verfallenden Gesundheit bewußt war, wollte die Last der Streitigkeiten mit der Bretagne und mit England nicht an seinen Sohn weitergeben. Die Unterhandlungen nach König Eduards Tod waren ohne Ergebnis und offenbar in schlechter Stimmung zu Ende gegangen. Um gereizte und aufstachelnde Debatten zu verhindern, wurde dieses Mal vorgeschlagen, getrennt zu tagen: die Engländer in Calais und die Franzosen zwanzig Meilen entfernt in St. Omer, wobei der Erzbischof von Rouen als Vermittler zwischen den Parteien dienen sollte. Durch das Schisma zunächst aufgeschoben, wurde dieser Plan im September 1379 schließlich aufgenommen. Coucy, Rivière und Mercier sowie ein oder zwei andere waren die Bevollmächtigten der französischen Seite bei diesen Verhandlungen, und sie waren auch die Delegierten, die mit dem Grafen von Flandern sprechen sollten, um ihn dazu zu bringen, eine Einigung mit dem Herzog der Bretagne zu vermitteln. Bevor sie aber irgend etwas in dieser Hinsicht erreichen konnten, wurde der Graf in eine örtliche Revolte hineingezogen, die sich gegen alle Unterdrückungsversuche durchsetzte und Flandern schließlich in einen ruinösen Bürgerkrieg stürzte. Die Erhebung der Männer von Gent stand in keinem Zusammenhang mit dem Arbeiteraufstand von Florenz im Jahr davor [Ref 274] . Obwohl beide Ereignisse unabhängig voneinander und spontan waren, initiierten die Unruhen in den beiden Textilstädten einen Wirbelwind von Klassenkämpfen in den nächsten fünf Jahren. Die Gründe waren die elende Lage der Arbeiterklasse und die Macht, die den Arbeitern durch den Bevölkerungsrückgang im Gefolge der Pest zugewachsen war. In Florenz, Flandern, in Languedoc, in Paris, England und wieder zurück nach Flandern und Nordfrankreich folgte eine Erhebung der anderen ohne sichtbaren Zusammenhang,
außer in der letzten Phase. Einige waren städtisch, andere ländlich; einige entstanden aus Verzweiflung, andere aus einem Gefühl der Stärke; aber alle hatten denselben Anlaß: drükkende Steuern.
In Gent, wo die Weber der stärkste Bevölkerungsteil waren, lud der Graf Unheil geradezu ein, als er der Stadt eine Steuer auferlegte, um ein Turnier zu finanzieren. Aufgestachelt durch den Aufschrei eines wütenden Händlers, daß Steuergelder nicht für »die Narreteien von Fürsten und den Unterhalt von Schauspielern und Clowns« verschwendet werden dürften, weigerte sich die Stadt zu zahlen. Der Graf suchte die Rivalität von Gent und Brügge auszunutzen und brachte Brügge auf seine Seite, indem er der Stadt versprach, einen Kanal, der sie mit dem Meer verbinden sollte, bauen zu lassen, zur Förderung ihres Handels und zum Schaden Gents. Als fünfhundert Arbeiter begannen, einen Kanal auszuheben, um die Leie umzuleiten, entsandte Gent seine Miliz, um das zu verhindern, und von da an erweiterte sich der Konflikt unaufhaltsam wie eine sich teilende Zelle. Über die Wirren in Flandern, die hier ihren Ausgang nahmen, schrieb Froissart: »Was sollen jene sagen, die dieses hören oder lesen, als daß es das Werk des Teufels war?« [Ref 275]
Am entgegengesetzten Ende Frankreichs, in Languedoc, brach zur selben Zeit eine Revolte aus. Dort hatten Hungersnot, Unterdrückung, Krieg und Steuern unter der harten Herrschaft des Herzogs von Anjou ihre Spur hinterlassen. Ungeduldig, kühn und gewalttätig übte der Herzog praktisch souveräne Gewalt über ein Viertel des Königreiches aus. Er schluckte alle Einkünfte ohne Unterschied zu seiner persönlichen Verfügung, wandte wenig für die
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