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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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übertragen.
    Der normannische Feldzug war bereits im Gange. Auf die ersten Nachrichten von Navarras Verrat hin hatte der König eine Armee
bei Rouen gesammelt und »hastig nach dem Sire de Coucy und dem Sire de Rivière gesandt«, denen er unter dem nominellen Oberkommando des Herzogs von Burgund den Befehl übergab. In tiefer Furcht vor einer englischen Landung instruierte er sie, so schnell wie möglich Navarras Städte und Burgen – vor allem in der Nähe der Küste – zu besetzen, entweder mit Gewalt oder durch Verhandlung. Bureau de la Rivière, der Kämmerer des Königs, mit dem Coucy in diesem Feldzug und auch späterhin eng verbunden bleiben sollte, war ursprünglich ein Bürgerlicher, ein höflicher und eleganter Hofbeamter, hochgeschätzt von Karl V., der ihm den Vorsitz in dem Regentschaftsrat übertragen hatte, der die Regierung übernehmen sollte, wenn er starb, solange der Dauphin noch minderjährig war.
    Die Kombination von Coucy und Rivière spiegelte die Verbindung von militärischer und politischer Strategie wider, die angewandt werden sollte. Die Belagerung befestigter Städte war langwierig und forderte große Opfer. Eine schnelle Eroberung eines Landstriches hing an der Aushandlung von Kapitulationen, aber die konnten meist nur nach einem eindrucksvollen Aufmarsch und anfänglichen Kämpfen erreicht werden. Karl von Navarras zwei Söhne wurden mitgeführt, »um dem ganzen Land zu zeigen, daß der Krieg für sie und ihr Erbe geführt wurde«.
    Bayeux, »eine schöne und starke Stadt« an der Cotentinhalbinsel, wo eine Landung der Engländer möglich gewesen wäre (zehn Meilen entfernt von einem späteren Landeplatz, der Omaha Beach genannt werden sollte), war das erste größere Ziel. Coucy und Rivière führten ihre Armee unter die Mauern der Stadt und zeigten den Bürgern den jungen Erben von Navarra als ihren rechtmäßigen Herrn; sie warnten sie »in eindrucksvoller Sprache«, daß, wenn die Stadt im Sturm genommen werden müßte, »sie alle abgeschlachtet und die Stadt von neuen Einwohnern besiedelt werden würde«. Vor allem beeinflußt durch die Anwesenheit der beiden Söhne Karls von Navarra, deren Rechte unbestreitbar waren, baten sich die Stadtleute einen dreitägigen Waffenstillstand aus, um die Bedingungen der Übergabe auszuhandeln, was immer ein kompliziertes Geschäft war, in dessen Verlauf handgeschriebene Dokumente mit Unterschriften und Siegeln ausgetauscht wurden.
Als dies vollendet war, ritten Coucy und Rivière in die Stadt ein und ergriffen von ihr im Namen des Königs Besitz. Nachdem sie die Vertreter der Bürgerschaft durch neuernannte Repräsentanten ersetzt hatten, hinterließen sie eine Garnison, die Rebellionen verhindern sollte, und marschierten weiter. Eine ganze Folge von Städten und Burgen, von »Waffen und Worten« bombardiert, wurde ohne großen Zeitverlust besetzt, wenn auch nicht ohne Kämpfe und Belagerungen mit Opfern auf beiden Seiten. In ihrer Eile gestanden Coucy und Rivière den Verteidigern grundsätzlich großzügige Bedingungen zu und erlaubten entschlossenen Parteigängern Karls von Navarra sogar den Abzug, wenn sie das wollten. In wirkungsvoller Zusammenarbeit mit Rivière zeigte sich Coucy als ein Mann, der die kühle politische Fähigkeit des Königs mit kriegerischer Tatkraft verband.
    Karl von Navarra selbst, der sich im Süden des Angriffs durch den König von Kastilien erwehren mußte, war nicht zur Stelle, und widrige Winde erlaubten nur kleinen Abteilungen seiner englischen Verbündeten die Landung. Einer Gruppe gelang es, Cherbourg zu besetzen, aber sie wurde dort durch eine französische Belagerung eingeschlossen. Überall sonst standen die navarresischen Hauptleute vor einer schweren Entscheidung, denn wenn sie sich zum Widerstand entschlossen, konnten sie kaum auf Hilfe hoffen, wenn sie aber kapitulierten, war die Normandie für den König von Navarra verloren. Evreux, das Herz seiner normannischen Besitzungen, besaß die stärkste Garnison und eine loyale Einwohnerschaft und zwang Coucy und Rivière zum härtesten Kampf dieses Feldzugs. »Jeden Tag griffen sie aufs neue an« und legten einen so dichten Belagerungsring um die Stadt, daß sie schließlich zur Kapitulation gezwungen war. Der Fall von Evreux begeisterte den König, der nach Rouen kam, um die Sieger zu begrüßen, »die so gut und schnell gehandelt hatten«. Lediglich Cherbourg, das von der See her versorgt werden konnte, hielt langen Belagerungen, die zu verschiedenen

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