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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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neben einem Ketzer und Schismatiker kämpfen wollten. In Kälte und Regen erwartete die Armee des Königs ungeduldig die Schlacht, »denn es verursachte ihnen großes Unbehagen, bei solchem Wetter draußen zu sein«. [Ref 300]
    Beim letzten Kriegsrat am Vorabend des Gefechts war es zu einer außerordentlichen Entscheidung gekommen: Clisson sollte sein Amt für einen Tag abgeben, um in der Nähe des Königs bleiben zu können, und sollte durch Coucy als Constable ersetzt werden. Sehr aufgeregt und mit dem Argument, die Truppe würde ihn für einen Feigling halten, versuchte Clisson, den König umzustimmen. Der verwirrte Junge stimmte schließlich nach langem Schweigen zu, »denn Ihr seid in dieser Sache weitsichtiger als ich oder die, die es zuerst vorschlugen«.
    Die Chroniken schweigen darüber, was diesem Vorschlag zugrunde gelegen haben mag; der einzige Hinweis ist Clissons Anfall von Angst an der Leie. Für einen Mann, der, ohne mit der Wimper
zu zucken, fünfzehn Köpfe abgeschlagen hatte, war dies ein ungewöhnliches Anzeichen von Nervosität, und das mag seine ebenso nervösen Kampfgenossen bewogen haben, mitten im Strom die Pferde zu wechseln und ihrem Wunsch nach einem neuen Constable Ausdruck zu geben. Sieg oder Niederlage im Kampf mit anderen Rittern konnte nichts Grundlegendes ändern, aber dieser Feldzug war etwas anderes, hier sahen die Adligen ihren Stand selbst herausgefordert. Diese Auffassung spiegelt auch Froissart in den vielen Variationen seiner Feststellung wider, daß, wenn der französische König und das »edle Rittertum« in Flandern unterlagen, alle Adligen in Frankreich »tot und verloren« wären und daß »die Gemeinen in verschiedenen Ländern aufstehen würden, um den ganzen Adel zu vernichten«.
    Nun, am Vorabend der Schlacht, neigte Artevelde zur Defensive und riet dazu, in günstiger Stellung auf den Feind zu warten. Er hatte ein vorteilhaftes Gelände ausgesucht und stand mit seinen Truppen auf einem Hügel. Die Franzosen in ihrer Ungeduld und Kampflust würden, glaubte er, auch getrieben durch das schlechte Wetter, den Angriff wagen oder sogar umkehren. Aber er wurde von Männern überstimmt, die noch voller Stolz über den Sieg im Kampf mit dem Grafen von Flandern waren und das Gefecht herbeisehnten. Artevelde unterwarf sich ihrer Entscheidung und befahl der Armee, keine Gefangenen zu machen außer dem König, »denn er ist nur ein Kind, das so handelt, wie man es ihm befohlen hat. Wir werden ihn nach Gent bringen und ihn die flämische Sprache lehren.« Was die Taktik anging, so befahl er seinen Soldaten, immer in kompakten Gruppen zusammenzubleiben, »so daß ihr nicht auseinanderzureißen seid«. Sie sollten zunächst den Feind durch schweres Feuer der Armbrüste und Bombarden erschüttern und dann untergehakt und Schulter an Schulter die französischen Linien durch das Gewicht und den Schwung ihrer Reihen eindrücken. In der spannungsgeladenen Nacht vor der Schlacht berichteten flämische Wachen von Rufen und Waffenlärm aus dem französischen Lager, als bereitete der Feind einen Nachtangriff vor. Andere meinten, »die Teufel der Hölle liefen und tanzten auf dem Feld umher, auf dem der Kampf stattfinden sollte, von dem sie so große Beute erwarteten«.

    Am Morgen des 29. November 1382 rückten die zwei feindlichen Hälften der Gesellschaft des Mittelalters durch einen Nebel, »der so dick war fast wie die Nacht«, gegeneinander vor. Die Franzosen hielten ihre Pferde hinter den Linien und gingen zu Fuß vor, gegen alle Gewohnheit schweigend, ohne Schlachtrufe, alle Augen auf die dunkle Masse vor ihnen gerichtet. Die Flamen, die mit aufgerichteten Lanzen und Stöcken den Hügel herabkamen, erschienen wie ein wandernder Wald. Sie eröffneten das Gefecht mit einem massiven Feuer ihrer Armbrüste und Bombarden und griffen dann mit gesenkten Stangen und Stöcken und mit der Kraft »wütender Keiler« an. Der französische Schlachtplan sah vor, daß das Bataillon des Königs unter dem Befehl des Constable das Zentrum halten sollte, während zwei stärkere Flügel – von denen einer vom Herzog von Bourbon und von Coucy befehligt wurde – den Feind von beiden Seiten einschließen sollten. Unter der Wucht der flämischen Attacke aber wich das französische Zentrum zurück, und in dem Tumult wurde das Bourbon-Coucy-Bataillon blockiert.
    »Seht, guter Vetter«, rief Bourbon (wie sein zeitgenössischer Biograph berichtet), »wir können nicht vorrücken, um den Feind anzugreifen, es

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