Der ferne Spiegel
Brücken zu besetzen, um die Lebensmittellieferungen an die Stadt zu unterbinden, andere Truppen wurden auf die faubourgs , die Dörfer vor der Stadt, losgelassen und richteten solche Verwüstungen an »wie ein Feind in Feindesland«. In Vorbereitung des Angriffs auf die Stadt selbst sammelten die Adligen bereits Wagen, »um Beutegut wegschaffen zu können, falls sich diese Gelegenheit ergeben sollte«. Die Pariser brachten die Straßenketten an, verteilten Waffen und stellten Wachen auf die Mauern.
Gemäßigte Kräfte auf beiden Seiten – bei Hofe geführt von
Coucy und in der Stadt von Jean de Marès – arbeiteten immer noch auf eine Einigung hin. Ihre kombinierte Redegewandtheit und ihr Einfluß gewannen schließlich das Einverständnis des Volkes zu einer Steuer von 80 000 Franken, die von bürgerlichen Delegierten selbst eingezogen und direkt an die Truppen – ohne Intervention der königlichen Onkel oder Schatzmeister – gezahlt werden sollten. Im Gegengeschäft wurde Paris eine Generalamnestie zugesprochen, der Bevölkerung vom König schriftlich garantiert, daß die Hilfszahlung nicht als Präzedenzfall für weitere Steuern angesehen werden würde und daß er selbst den Parisern nichts nachtrug. Wenn es noch so etwas wie Vertrauen zur Monarchie und zu einer königlichen Amnestie gab, dann deshalb, weil die Salbung des Königs ein sakramentaler Akt war und auch, weil es im Volk das verzweifelte Bedürfnis gab, im König – im Gegensatz zum Adel – den Beschützer des Volkes zu sehen.
In diesem Augenblick verbreitete sich die Nachricht von Gents alarmierendem Sieg über den Grafen von Flandern, erschreckte die besitzende Klasse und gab dem Hof einen Grund mehr, sich schleunigst mit den Parisern zu einigen. Da der Herzog von Anjou nach Italien marschiert war und der Herzog von Berry als Gouverneur in Languedoc weilte, kontrollierte nun der Herzog von Burgund die Regierung, und seine beherrschende Absicht war es, französische Truppen nach Flandern zu entsenden, um seinen Erbanspruch auf den gräflichen Thron dort zu sichern. Der Frieden mit Paris wurde in aller Eile geschlossen. [Ref 298]
In all den Aufständen sah die besitzende Klasse die wachsende Drohung allgemeiner Subversion. Man berichtete, daß die Aufständischen von Beziers in Languedoc geplant hätten, alle Bürger, die mehr als 100 Pfund ihr eigen nannten, zu ermorden, daß vierzig von ihnen gar vorgehabt hätten, die eigenen Frauen umzubringen, um die schönsten und reichsten Witwen ihrer Opfer heiraten zu können. Die englischen Bauern erschienen einem Chronisten »wie tolle Hunde . . . wie Bacchanten, die durchs Land tanzten«. Die Ciompi waren »Lümmel, Bösewichter, Diebe . . . nutzlose Männer niedrigster Gesinnung . . . dreckig und schäbig«, und die Maillotins sah man als ihre Brüder an. Den Webern von Gent sagte man nach,
daß sie die Absicht hätten, alle guten Menschen bis hinunter zum Alter von sechs Jahren auszurotten.
Die Quelle aller umstürzlerischen Machenschaften, das Zentrum der Gefahr, war für die Zeitgenossen Gent.
Die Franzosen wußten, wieviel von ihrer Offensive in Flandern abhing, und sie bereiteten sich gewissenhaft vor. Die Rebellion der unteren Klassen gegen die oberen, die Gefahr einer englischen Allianz mit Artevelde, die Verbindung der Flamen mit der urbanistischen Seite des Schismas – all dies überlagerte den Kampf zwischen Gent und dem Grafen von Flandern. Coucy war unter den ersten, die der Armee zugeordnet wurden, und er schloß sich der Streitmacht mit drei Bannerrittern, zehn Rittern, siebenunddreißig Knappen und zehn Bogenschützen an. Sein Vetter Bastard de Coucy, der Sohn seines Onkels Aubert, war sein Stellvertreter, obwohl er nur als Knappe in den Listen auftaucht. Es dauerte – auch aufgrund der widerwilligen, mürrischen Stimmung im Lande – sechs Monate, bis eine gutausgerüstete und ausreichende Streitmacht aufgestellt war, und es wurde November, bevor sie abmarschieren konnte. Viele waren dagegen, den Feldzug am Rande des Winters zu beginnen, aber der Zwang, den Engländern zuvorkommen zu müssen, trieb das Unternehmen durch Tage des Regens und eisiger Kälte voran. [Ref 299]
Die Armee, deren Stärke in wilden Abweichungen mit Zahlen bis zu fünfzigtausend angegeben wurde, zählte wahrscheinlich ungefähr zwölftausend Mann – groß genug, um Fußsoldaten damit zu beschäftigen, durch das Niederreißen von Hecken und Hindernissen den Marschweg zu erweitern. Der König,
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