Der ferne Spiegel
seinen Leuten nicht, anzugreifen, und die Franzosen ließen aus demselben Grund halten. Ungeschützt gegen den kalten Wind, die Füße im Morast, standen sie da, und der Regen lief von ihren Helmen herab. Die ganze Nacht blieben sie in ihren Rüstungen, die Angst vor einem Angriff hielt sie und ihren Kampfgeist wach.
Beim ersten Tageslicht rückten beide Seiten vor. Die Franzosen ließen auch manchen Kampfruf von Rittern ertönen, die nicht in ihren Reihen waren, um eine größere Zahl vorzutäuschen. Wiederum litt Clisson ungehemmt alle Qualen der Angst, beklagte lautstark, daß er nicht seine ganze Armee hinüberbringen konnte. Auf der anderen Seite prallten die beiden Streitkräfte zusammen. In dem Gefecht entschied die größere Reichweite der langen, mit
Bordeauxstahl gehärteten französischen Lanzen das Gefecht gegen die kürzeren flämischen Waffen. Peter van den Bossche wurde niedergeschlagen, am Kopf und an der Schulter verwundet, konnte aber in Sicherheit geschafft werden. Während die Flamen verzweifelt kämpften und die Glocken der Dorfkirche läuteten, um Verstärkung herbeizurufen, vollendeten die Franzosen die Reparatur der Brücke, und Clissons Streitmacht donnerte hinüber, warf die Verteidiger zurück und eroberte Comines am anderen Ufer. Die Flamen wurden durch die Straßen gejagt und erschlagen. Kurze Zeit später schon schwärmten die Plünderer aus und fanden reichlich Beute in einem Land, das sich ganz auf den Schutz der Leie verlassen hatte. Die Flamen hatten weder ihren Besitz noch ihr Vieh in den Schutz der befestigten Städte gebracht.
Als der König in Comines einritt, setzten die wohlhabenden Bürger von Ypern und den benachbarten Städten die Gouverneure Arteveldes ab und schickten Delegierte mit Kapitulationsschreiben zu den Franzosen. Auf den Knien boten zwölf reiche Bürger von Ypern Karl VI. die Stadt als dauernden Besitz an, wenn er sie friedlich besetzen ließ. Karl akzeptierte gnädig für einen Preis von 40000 Franken, der ihm auf der Stelle versprochen wurde. Malin, Cassel und Dünkirchen sowie neun andere Städte folgten dem Beispiel mit der Zahlung von 60000 Franken. Obwohl die Bedingungen der Kapitulation diese Städte eigentlich von Plünderungen freihalten sollten, waren die Bretonen nicht zurückzuhalten. Da sie sich nicht mit Pelzen, Stoffen und Gefäßen belasten wollten, verkauften sie ihre Beute billig an das Volk von Lille und Tournai, »begierig nur auf Gold und Silber«. Das Geschäft folgte dem Krieg auf den Fersen wie eine Hyäne.
Fünfzig Meilen weiter nördlich, in Gent, rief Philipp van Artevelde aus der Umgebung der Stadt jeden Mann zu den Waffen, der irgend kampffähig erschien. Er versprach dem Volk von Gent, den französischen König zu besiegen und die Unabhängigkeit Flanderns zu erkämpfen. Seine Gesandten hatten seit Monaten England gedrängt, in den Krieg einzutreten, aber obwohl ein Bote mit einem Vertragsangebot zurückgekehrt war, folgten ihm keine Schiffe, die Soldaten trugen. Dennoch, Artevelde hatte einen Verbündeten: Der Winter kam. Wenn er sich in Gent verschanzt hätte und in der Defensive
geblieben wäre, hätte er es dem Winter und dem Mangel an Lebensmitteln überlassen können, die Eindringlinge zu besiegen. Aber ein drohender Aufstand der Partei des Grafen, der Brügge den Franzosen in die Hände gespielt hätte, zwang Artevelde zum Handeln, obwohl er immer noch die vornehmsten Bürger von Brügge als Geiseln hielt. Vielleicht war es auch Überheblichkeit und nicht Furcht, was ihn antrieb; vielleicht hatte er sich einfach verrechnet.
Er stellte eine schlagkräftige Truppe von »vierzigtausend« bis »fünfzigtausend« Flamen (in Wirklichkeit wohl unter zwanzigtausend) auf, die mit Keulen und langen Stangen mit einer Eisenspitze und Messern bewaffnet waren. Sie trugen eiserne Kappen auf den Köpfen und wurden angeführt von der neuntausend Mann starken Genter Abteilung, auf die sich Artevelde in erster Linie stützte. Unter den Bannern der Städte marschierten sie nach Süden, um den Feind zu stellen. Kundschafter meldeten den Franzosen die heranziehende Streitmacht. Clisson ließ seine Armee zwischen einem Hügel und der Stadt Roosebeke Stellung beziehen, wenige Meilen von Passchendaele entfernt, wo einige Jahrhunderte später – 1916 – ein weiteres Blutvergießen stattfinden sollte. Die Franzosen zwangen Louis de Male, den Grafen von Flandern, seine Truppe aus dem Gefecht herauszuhalten, da er ein Urbanist war und sie nicht
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