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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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jetzt vierzehn Jahre alt, ritt mit der Armee. Begleitet wurde er von seinen Onkeln aus Burgund, Bourbon und Berry und den vornehmsten Herren Frankreichs: Clisson, Sancerre, Coucy, Admiral de Vienne, den Grafen de la Marche, d’Eu, Blois, Harcourt und vielen anderen bedeutenden Seigneurs und Knappen. Die scharlachrote Oriflamme, die nur bei großen Unternehmungen gegen die Ungläubigen getragen wurde, flatterte zum erstenmal seit Poitiers über dem Heer, um den Charakter des heiligen Krieges zu betonen, was etwas dadurch beeinträchtigt wurde, daß sowohl der Feind als auch des Königs
Verbündeter, der Graf von Flandern, Anhänger Urbans waren. Der Graf war in jedem Fall bei den Franzosen wegen seiner früheren Absprachen mit den Engländern nicht sehr populär und wurde den ganzen Feldzug hindurch sehr kalt behandelt.
    Der Zug der Armee war ein Marsch durch feindlich gesonnenes Land, und dies schon in Frankreich. Die Städte sympathisierten mit Gent und verweigerten oder beschränkten die Lebensmittellieferungen ebenso wie finanzielle Hilfszahlungen. Der Herzog von Burgund, manchmal sogar der König, wurden öffentlich beschimpft. In Paris schworen die Maillotins bei ihren Hämmern, den Steuereinnehmern gemeinschaftlich Widerstand zu leisten. Sie begannen, bei Nacht Helme und Waffen zu schmieden, und planten, den Louvre und die großen hôtels von Paris zu besetzen, damit sie nicht als strategische Positionen gegen sie benutzt werden konnten. Sie wurden indessen durch den Rat des Nicolas de Flament, eines Tuchhändlers, zurückgehalten, der sich dafür aussprach, zunächst abzuwarten, ob die Männer von Gent sich gegen die französische Armee durchsetzen konnten. Dann wäre der rechte Augenblick gekommen. Zur selben Zeit erhoben sich die Gemeinen in Orléans, Blois, Châlons, Reims und Rouen in so wilder Form, daß ein Chronist schrieb, »der Teufel« sei »in ihre Köpfe gedrungen, daß sie alle Edelmänner erschlagen wollten«.
    Als die königliche Armee die Leie an der flämischen Grenze erreichte, fand sie die Brücke zerstört vor. Alle Boote waren fortgeführt worden. Die Flußufer waren moorig und aufgeweicht; neunhundert Flamen warteten auf der anderen Seite unter dem Kommando von Arteveldes Leutnant, Peter van den Bossche, mit der blanken Streitaxt in der Hand. Coucy hatte geraten, weiter östlich bei Tournai überzusetzen, um aus Hainault Nachschub beziehen zu können, aber Clisson hatte auf der direkteren Route bestanden und bereute nun bitter, nicht auf Coucy gehört zu haben.
    Während Fourageure ausgesandt wurden, um Holzstämme und Zaunlatten zur Reparatur der Brücke herbeizuschaffen, fand eine Gruppe von Rittern drei gesunkene Boote. Sie hievten sie herauf und verbanden sie an einer Stelle, die von den Flamen nicht einzusehen war, durch lange Taue mit beiden Flußufern. Auf diese Art ließ sich eine abenteuerlustige Gruppe von Rittern und Knappen
übersetzen, während die Hauptstreitmacht die Flamen durch Armbrustfeuer und »Bombards«, kleine, tragbare Kanonen ablenkte. In ständiger Furcht, entdeckt zu werden, aber darauf erpicht, »sich den Ruf entschlossener und tapferer Ritter zu erwerben«, setzten die Abenteurer, geführt von Marschall Sancerre, ihre Überfahrten fort, bis vierhundert Mann das andere Ufer erreicht hatten. Keinem Diener oder Fußsoldaten war es erlaubt, an der Expedition teilzunehmen.
    Entschlossen, sofort zum Angriff überzugehen, schnallten sie ihre Rüstung an, erhoben ihre Banner und marschierten in Schlachtposition aufs freie Feld hinaus – zum Entsetzen des Constable am anderen Ufer, dessen »Blut aus Angst um sie zu erzittern begann«. »Ah, bei St. Ives, beim heiligen Georg, bei der Jungfrau, was sehe ich dort drüben? Ha, Rohan! Ha, Beaumanoir! Ha, Rochefort, Malestroit, Lavalle«, rief Clisson aus, während er jedes Banner beim Namen nannte. »Was sehe ich? Ich sehe die Blüte unserer Armee an Zahl unterlegen! Wäre ich doch lieber gestorben, als dies sehen zu müssen. . . . Wozu bin ich Constable von Frankreich, wenn ihr euch, ohne meinen Rat einzuholen, in dieses Abenteuer stürzt? Wenn ihr unterliegt, wird man mir die Schuld daran geben, und es wird heißen, ich hätte euch dort hinübergeschickt.« Er ordnete an, daß ab sofort alle, die dies wünschten, sich den Männern auf der anderen Seite anschließen dürften, und trieb in großer Hektik die Arbeiten zur Wiederherstellung der Brücke voran. Da die Dämmerung hereinbrach, erlaubte der flämische Kommandeur

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