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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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sollten, weil er einen Privatkrieg für seinen zukünftigen Verwandten, den Herzog von Bar, ausfocht. Dessen Sohn war ausersehen, Coucys Tochter zu heiraten. Der Herzog zahlte ihm
sehr pünktlich 2000 Franken, um Coucys Ausgaben zu decken. Maries Heirat mit Henri von Bar wurde kurz danach im November gefeiert.
    Während dieser ganzen Zeit flehten die Herzogin von Anjou und der Kanzler ihres Gatten den königlichen Rat an, endlich die versprochene Hilfe zu leisten. Anjous Situation hatte sich noch weiter verschlechtert, weil ihn einer seiner eigenen Ritter der 80 000 bis 100 000 Franken beraubt hatte, die seine Frau für ihn gesammelt hatte (oder, nach einer anderen Version, die er von den Visconti geliehen hatte). Der Räuber, der zehn Jahre später ein weiteres Verbrechen mit geschichtlichen Folgen begehen sollte, war Pierre de Craon, ein Ritter adliger Abkunft, der weite Ländereien besaß und den Herzog nach Italien begleitet hatte. Von Anjou entsandt, das Geld zu holen, kehrte Craon über Venedig zurück, wo er das meiste davon in Ausschweifungen, extravaganten Festen und Glücksspielen durchbrachte, wahrscheinlich aus dem Bedürfnis heraus, sich in einem Stil darzustellen, der dem Herrscher, den er repräsentierte, angemessen war. Er behielt, was übrigblieb, und schloß sich dem Herzog nicht wieder an.
    Solche beiläufige Unterschlagung erscheint fast unglaublich, es sei denn, jemand, der an einem Fehlschlag des Herzogs von Anjou interessiert und zugleich mächtig genug war, Craon gegen Verfolgung zu schützen, hätte ihn angestiftet. Diese Person könnte nur der Herzog von Burgund gewesen sein, aber anzunehmen, daß er so weit gehen würde, seinen Bruder zu ruinieren, scheint weit hergeholt. Immerhin: als Craon nach Frankreich zurückkehrte, entging er durch den Schutz des Herzogs von Burgund, mit dessen Frau er verwandt war, jeder Bestrafung.
    In den Augen des Königs und seines Rats erlaubte es die Ehre Frankreichs nicht, Anjou in seinem Scheitern sich selbst zu überlassen noch Papst Urban VI. eine so große Befriedigung zu gönnen. Im Frühjahr 1384, nachdem die Waffenruhe mit England abgeschlossen war und nachdem der Herzog von Burgund nach dem Tod seines Schwiegervaters von Flandern Besitz ergriffen hatte, brach Coucy schließlich zu seiner Rettungsexpedition auf. Es war schon sehr spät, Anjou noch zu retten, aber Coucy war kein Hauptmann, der zu fliegen versuchte, bevor er Flügel hatte. Im Duell der
Waffen und Geister, auf das er sich im Herzen von Italien einließ, erwies er sich als geschickt, verantwortungsbewußt und mit jener magischen Fähigkeit begabt, noch aus einer ihn umgebenden Katastrophe unbesiegbar hervorzugehen.
    Bevor er im Mai aufbrach, stiftete er wie vor dem Schweizer Feldzug eine Messe täglich für sich und seine Nachfolger, dieses Mal in der Abtei von St. Médard in der Nähe von Soissons. Um die Kosten der Expedition zu decken, trug die Krone 78 000 Franken bei, wovon 8000 vom Papst Klemens VII. zurückgezahlt werden sollten. Weitere 4000 Franken bekam Coucy als Entschädigung dafür, daß man ihm die versprochenen Hilfszahlungen im vorhergehenden Jahr versagt hatte. Er sammelte eine Armee, die geschätzt eintausendfünfhundert Lanzen besaß, was mit Fußsoldaten und Bogenschützen etwa neuntausend Mann ausmachte. Miles de Dorman, der frühere Kanzler, der schon das Jahr zuvor ungeduldig auf den Aufbruch gewartet hatte, schloß sich ihm mit zweihundert Lanzen an. Der Hauptteil der Truppe bestand anscheinend aus Söldnern, zum Teil in Avignon rekrutiert, wohin Coucy zuerst reiste, um sich mit Papst Klemens abzustimmen. [Ref 308]
    Im Juli überquerte er die Alpen über den Mont-Cenis-Paß. Er trug die Vollmacht, die Heirat zwischen dem Sohn Anjous und der Tochter Bernabòs in einer Ferntrauung zu vollziehen. Bernabò lud ihn ein, mit zweihundert aus seinem Gefolge nach Mailand zu kommen, eine Zahl, die Coucy aus Stolz oder Vorsicht auf sechshundert erweiterte. »Mit großer Freude« von Bernabò vor den Toren willkommen geheißen, ritten sie zusammen in die Stadt ein, »aber so groß war die Zahl der Männer, daß sie die Brücke zerbrachen«. Dies scheint Coucys einziger Fauxpas gewesen zu sein und war den opulenten Feiern und der täglichen Parade der Geschenke offensichtlich nicht abträglich. Der Besuch dauerte zwei Wochen.
    Zwei Wochen waren nicht zu lang, einen Kurs durch das Labyrinth der italienischen Rivalitäten zu entwerfen. Die Beziehungen von Venedig, Genua, Mailand,

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