Der ferne Spiegel
während ein wirres Jahrhundert seinem Ende zustrebte.
»Ihr seid der größte lebende König mit der größten Zahl von Untertanen«, sagte der Herzog von Burgund seinem Neffen, »und ich habe oft bei mir gedacht, warum fahren wir nicht nach England hinüber und zerdrücken den großen Stolz dieser Engländer . . . und machen dieses große Unternehmen zu einer ewigen Ruhmestat?« Als der Herzog von Lancaster kurz nach Ostern England mit einer großen Armee in zweihundert Schiffen verließ, um den Thron von Kastilien zu erobern, war die Gelegenheit für die Franzosen gekommen. Informationen zwischen den beiden Ländern wurden vor allem durch französische und englische Fischer vermittelt, die die Feindschaft ihrer Nationen ignorierten, sich auf See gegenseitig halfen und Fänge austauschten. Auf die Weise riß die Kommunikation über den Ärmelkanal hinweg nie ab. [Ref 323]
Die französische Invasionsflotte sollte die größte, »seit Gott die Welt schuf«, werden. Die Armee, die Clisson und Coucy eigentlich nach Schottland hatten führen sollen, war der Kern der Invasionsstreitmacht, die durch weitere Aushebungen erheblich verstärkt wurde. Chronisten schreiben von vierzigtausend Rittern und Knappen, fünfzigtausend Pferden und sechzigtausend Fußsoldaten, Zahlen, die eher auf Wirkung denn Genauigkeit zielen. Die Vorbereitungen für den schottischen Feldzug waren bereits fortgeschritten, als die flämische Unterbrechung kam, und sie wurden
nun in einem kolossalen Ausbruch von Aktivität fortgesetzt. Geld war wie immer das vordringliche Problem. Eine Verkaufssteuer von 5 Prozent sowie eine Getränkesteuer von 25 Prozent waren bereits für das schottische Unternehmen im ganzen Königreich erhoben worden, was der Krone 202 000 Pfund eintrug. Diese Steuern wurden nun erneuert, ein Vorgang, der sich wiederholen sollte, denn die Steuern brachten nie genug.
Schiffe wurden aus allen Teilen Europas angeheuert oder gekauft, während die französischen Werften Tag und Nacht arbeiteten. Die sechshundert Schiffe, die schon im Jahr zuvor gesammelt worden waren, wurden verdoppelt, und der Anblick der Flotte in der Mündung der Schelde war »der größte seiner Art, der je gesehen wurde«. Buonaccorso Pitti, der allgegenwärtige Florentiner, sah eintausendzweihundert Schiffe, von denen sechshundert Kampfschiffe waren, auf die eine »Burg« für Bogenschützen gesetzt worden war. Die französischen Adligen, die damit rechneten, sich an den Engländern durch Beute und Lösegelder schadlos zu halten, sparten nicht am Aufwand für ihre Schiffe, die vergoldete Buge und silberne Masten hatten, die Segel waren zum Teil aus Bahnen von Goldstoff und Seide gefertigt. Der Admiral de Vienne beauftragte einen flämischen Künstler, Pierre de Lis, sein Flaggschiff ganz rot anzumalen und es mit seinem Wappen zu verzieren. Das schwarze Schiff Philipps von Burgund war mit den Wappen all seiner Besitzungen bemalt und führte seidene Wimpel, die seinen kühnen Wahlspruch trugen »Il me tarde« , was heißen sollte: »Ich warte nicht«, ein Motto, das sich auf dem Hauptsegel wiederholte. Coucys Schiff, »eines der luxuriösesten der Flotte . . . sehr groß und reichverziert«, traf ein unglückliches Schicksal noch auf der Seine, wo es von einem tollkühnen portugiesischen Admiral, einem Verbündeten des Herzogs von Lancaster, bei einem Überfall gekapert wurde. [Ref 324]
Auch Coucy war nicht gefeit gegen die Hybris der Stunde. Eines seiner Siegel – auf einer Empfangsbestätigung vom Oktober 1386 für Zahlungen, die mit der Invasionsflotte in Verbindung standen – zeigt sein Wappen kombiniert mit dem königlichen Leoparden von England. Offensichtlich glaubte er sich berechtigt, irgendeinen Anspruch auf das königliche Wappentier erheben zu können, vielleicht
auch, weil seine Tochter Philippa eine Kusine des Königs von England war. Coucys persönliches Kontingent in der Invasionsarmee zählte fünf Ritter, vierundsechzig Knappen und dreißig Bogenschützen. [Ref 325]
Die weiten Buchten und Mündungsbecken der Schelde boten einen riesigen, gutgeschützten Sammelplatz für die Armada. Nachschub und Verbindung waren zu Land und zur See sowie über Kanäle bis nach Brügge möglich. Tag um Tag trafen die Versorgungsfahrzeuge wie in einer Parade ein und brachten Verpflegung und Ausrüstung – zweitausend Fässer für Zwieback, Holz zum Bau von Karren, tragbare Handmühlen, um Weizen zu mahlen, Kanonenkugeln aus Eisen und Stein von Reims, Taue,
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