Der ferne Spiegel
Kaiserreich reichten. Die Burg wurde als »eine der schönsten und wichtigsten des Reiches« bezeichnet. Durch den »Verfall und die Entvölkerung der besagten Stadt . . . können große Gefahren, Schäden und nicht wiedergutzumachende Widrigkeiten entstehen«. Daß der Erlaß unmittelbar der Übertragung der Macht auf die Gruppe, die von den vier Marmosetten, Clisson und Coucy dominiert wurde, folgte, war sicherlich kein Zufall.
Von dieser Zeit an amtierte Coucy als erster Laienpräsident der Schatzkammer, eines Amtes, das mit dem des Kämmerers verbunden war, der ursprünglich die königlichen Einkünfte und Kassenbücher
verwaltete. Es sieht nicht so aus, als ob Coucy dafür eine besondere Entschädigung erhalten hätte, er bezog weiterhin seine jährliche Pension von der Krone. Sein Besitz, der durch verschiedene Neuerwerbungen wesentlich vergrößert worden war und nun einhundertfünfzig Städte und Dörfer umfaßte, war offensichtlich groß genug, um von den Schwierigkeiten, die kleinere Landbesitzer trafen, verschont zu bleiben.
Die Picardie, das Heimatland der Coucys, das so oft im Pfad der Invasion lag, ist »geschlagen und gestraft«, schrieb Mézières, der selbst ein Picarde war, und »heute blüht sie nicht länger«. Die letzten Bauern waren aus verelendeten Regionen geflohen, so daß nach einer Klage aus dem Jahre 1388 »gegenwärtig keine Arbeiter mehr aufzufinden sind, die arbeiten oder das Land bestellen«. Überall in Frankreich hatte ein Jahrhundert des Unheils Spuren hinterlassen – Bevölkerungsrückgang, Niedergang des Handels, verlassene Dörfer und ausgeraubte Abteien, Grund genug für ein Klima tiefer Niedergeschlagenheit. Einige Gemeinden der Normandie waren auf zwei oder drei Familien zusammengeschrumpft. In der Diözese von Bayeux lagen einige Städte seit 1370 ebenso verlassen da wie einige Gemeinden der Bretagne. Der Handel der Gemeinde Châlons an der Marne war von dreißigtausend Stoffballen auf jährlich achthundert zurückgegangen. In der Gegend von Paris waren nach einer Verlautbarung von 1388 »viele wichtige alte Straßen, Brücken, Wege und Pfade« dem Verfall überlassen worden – überflutet, von Hecken, Dornen und Gebüsch überwuchert. Viele waren unpassierbar geworden. Und ähnliche Beispiele ließen sich aus dem Süden anführen.
Das Schisma hatte große physische und geistige Zerstörungen nach sich gezogen. Eine Benediktinerabtei, die bereits zweimal von umherstreifenden Kompanien niedergebrannt worden war, war nun zusätzlich von den Einkünften ihrer Besitzungen in Flandern abgeschnitten und bezahlte in verschiedenen Verfahren so viel Geld für die Prozeßkosten, daß sich Papst Klemens gezwungen sah, die Abgaben von 200 auf 40 Pfund für einen Zeitraum von fünfundzwanzig Jahren zu senken. Andere Abteien, die von der Pest entvölkert oder von den Kompanien heimgesucht worden waren, gerieten in völlige Unordnung und wurden manchmal sogar verlassen
und verfielen, das Land versteppte. Sinkende Einkünfte und steigende Kosten ließen viele Landbesitzer verarmen, wodurch sie sich gezwungen sahen, höhere Pachtzinsen zu erheben und neue Steuern zu erfinden, die sie nun ihrerseits ihren Pächtern auferlegten. Der daraus erwachsenden allgemeinen Landflucht versuchte der Adel dadurch zuvorzukommen, daß er Waren beschlagnahmte und schwere Strafen einführte, was den Haß der Bauern noch erhöhte.
Nach fünfzig Jahren war der Krieg abgeklungen und zurückgetreten, und kaum einer konnte sich an seine Ursachen erinnern. Obwohl der Herzog von Gloucester und die »Keiler« von England so kriegerisch wie je waren, konnten sie die Kosten für eine neue Expedition nicht aufbringen. In Frankreich hatten die im Sande verlaufenen Invasionsversuche die Gemüter abgekühlt. Die Opposition gegen den Krieg nahm zu, wenn auch Mézières die alten Feindseligkeiten nun gegen die Ungläubigen richten wollte. »Die gesamte Christenheit ist durch eure Gier nach ein bißchen Land fünfzig Jahre lang in Aufruhr versetzt worden. Recht und Unrecht dieser Sache liegen schon lange im Dunkel, und alle Christen müssen für so viel vergossenes Christenblut verantwortlich gemacht werden.« Alle Christen in einem Kreuzzug zu vereinigen war für einen Mann wie Mézières nicht Krieg, sondern der Gebrauch des Schwerts zur höheren Ehre Gottes. [Ref 345]
Nach sechsmonatigen Verhandlungen kam im Juni 1389 ein dreijähriger Waffenstillstand, aber immer noch kein endgültiger Friedensvertrag zustande.
Weitere Kostenlose Bücher