Der ferne Spiegel
Komplizierte Vereinbarungen wurden für den Fall ausgehandelt, daß bei der Übergabe einzelner Gebiete oder Hoheitsrechte Streitigkeiten entstünden. Nun war Coucy in der Lage, einen Botschafter zu Philippa nach England zu entsenden, »aus seinem großen Wunsch heraus, Sicheres über ihr Wohlergehen zu erfahren«. Coucy wurde zum Generalleutnant von Aquitanien ernannt, um die Einhaltung der Waffenstillstandsvereinbarung im Süden zu überwachen und das Land von der Dordogne bis an die See einschließlich der Auvergne und des Limousin zu sichern und zu verteidigen.
Die Friedensbotschaft wurde von den einfachen Menschen – in
mindestens einem Fall – mit sehr gemischten Gefühlen und einem kuriosen Wiederaufleben der seltsamen Prophezeiung aufgenommen, die Coucy zugeschrieben wurde und den König und seinen Spaten betraf. Die Bürger von Bois-Gribaut im Limousin diskutierten die Nachricht über den Waffenstillstandsvertrag, die sie von einem Bürger ihres Dorfes bei seiner Rückkehr aus Paris erhalten hatten. Einige waren unbeeindruckt und glaubten sogar, daß sie bald wieder gegen England rüsten müßten. Ein einfältiger Schafhirt namens Marcial le Vérit, von dem man sagte, daß er lange in tiefem Elend in englischen Kerkern geschmachtet habe, äußerte eine subversivere Meinung, für die er dann verhaftet wurde: »Glaubt nicht daran! Ihr werdet niemals Frieden haben. Ich für meinen Teil glaube jedenfalls nicht daran. Der König selbst hat Flandern und Paris zerstört und geplündert, und darum hat ihm der Sire de Coucy einen Spaten gebracht und gesagt, daß er ihn benutzen müsse, wenn er sein Land völlig ruiniert hat.« Die Redensart hatte offensichtlich weiten Anklang gefunden.
Coucy erschien auch noch als eine Symbolfigur ganz anderer Art. Thomas Mowbray, Graf von Nottingham und späterer Herzog von Norfolk, einer der Lords Appellant , den Richard II. umwarb und zum Graf-Marschall auf Lebenszeit ernannt hatte, ließ Coucy eine Herausforderung zum Zweikampf überbringen, noch bevor der Waffenstillstandsvertrag unterschrieben wurde. Für den dreiundzwanzigjährigen Nottingham war Coucy der Inbegriff eines Ritters, und es bedeutete, Tapferkeit zu beweisen und Ruhm zu erlangen, dem Sire de Coucy im Kampf zu begegnen. Als Frömmigkeit und Tugend, die ursprünglichen Grundlagen der ritterlichen Haltung, nur noch durch ihre Abwesenheit auffielen, war der alles verhüllende Mantel von Ehre und Tapferkeit um so gefragter. [Ref 346]
Als »ein Mann von erwiesener Ehre, Tapferkeit, Ritterlichkeit und großem Ruhm« wurde Coucy von Nottingham herausgefordert, Tag und Ort zu benennen, an dem er zu einem Zweikampf von drei Lanzengängen, drei Schwertgängen, drei Dolchgängen und drei Axtschlägen antreten wolle. Er sollte ein mit seinem Siegel versehenes »gutes und treues freies Geleit« seines Königs übersenden, und wenn Calais als Austragungsort gewählt würde, wollte Nottingham einen Geleitbrief seines Königs bereitstellen. Er
schlug vor, daß das Turnier »vor so vielen Zuschauern ausgetragen werden sollte, wie Ihr und ich mit freiem Geleit und Unterkunft versorgen können«. Es ist nichts überliefert, was auf eine Antwort oder gar die Durchführung eines solchen Turnieres schließen läßt. Coucy war entweder uninteressiert oder nicht gewillt, ein solches Turnier durchzuführen, solange der Waffenstillstandsvertrag noch in der Schwebe war.
Um den Ruhm des Zweikampfes gebracht, nahm Nottingham die berühmte Herausforderung von St. Ingelbert auf, die der schneidige Boucicaut und zwei Freunde ausgesprochen hatten, als sie sich durch englische Prahlereien nach dem Waffenstillstandsvertrag gereizt fühlten. Sie boten sich an, gegen jedermann in jeder Art während eines Turniers von dreißig Tagen in die Schranken zu treten. Die Vorsicht sprach dagegen, Feindseligkeiten so kurz nach dem Waffenstillstand aus einer Laune der »jungen, wilden Ritter« heraus wieder zu eröffnen, und Freunde warnten die drei davor, daß das Unternehmen ihre Kräfte übersteige. Aber Boucicaut war nicht der Mann, auf so vorsichtige Stimmen zu hören. Im Alter von sechzehn Jahren hatte er seine erste Schlacht bei Roosebeke bestanden, wo ein riesiger Flame sich über seine Jugend und seine kleine Gestalt lustig machte und ihm riet, in die Arme seiner Mutter zurückzukehren. Boucicaut hatte seinen Dolch gezogen und ihn dem Mann mit den Worten in die Seite gerammt: »Spielen die Kinder in deinem Land solche Spiele?« Er und seine
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