Der ferne Spiegel
Vollmacht hätten, feste Bedingungen abzuschließen, sondern zunächst ihrem König berichten müßten. Wieder war eine der zahllosen Friedensverhandlungen im Sande verlaufen. Wieder wurde der Waffenstillstand um ein weiteres Jahr verlängert. Wie schwer war es, einen Krieg zu beenden!
Ob aus Enttäuschung oder anderen Gründen – König Karl wurde mitten in der Verhandlungsrunde krank, hatte hohes Fieber und Deliriumsanfälle. Er wurde von Amiens in die ruhigere Umgebung des bischöflichen Palastes in Beauvais gebracht, wo er sorgsam umhegt war und sich bald erholte. Im Juni nahm er die Jagd und andere Vergnügungen wieder auf. Kein böses Vorzeichen wurde in dieser seltsamen, plötzlichen Erkrankung gesehen, obwohl das nahegelegen hätte.
KAPITEL 24
Danse Macabre
N iemals hat die Geschichte grausamer die Verletzlichkeit einer Nation durch die Gestalt an ihrer Spitze aufgezeigt als in der Heimsuchung Frankreichs, die 1392 begann.
Die Umstände, die die Krise auslösten, entsprangen einem Machtkampf, in dessen Mittelpunkt Clisson stand, der Constable. Als die Hauptstütze der Minister der Krone war er das Ziel der politischen Feindseligkeiten der Onkel wie auch Gegenstand des unsterblichen Hasses des Herzogs der Bretagne. Denn solange er den beherrschenden militärischen Posten hielt, der ihm Zugang zu immensen finanziellen Begünstigungen gewährte, und die Partnerschaft mit den Marmosetten und dem Bruder des Königs aufrechterhielt, war den Onkeln der Weg zur Macht verlegt. Montfort fürchtete Clisson als Rivalen in den bretonischen Machtkämpfen und haßte ihn um so erbitterter, als er es versäumt hatte, ihn umzubringen, als sich die Gelegenheit bot. In ihrem Wunsch, Clisson zu vernichten, trafen sich die Interessen von Montfort und den Onkeln des Königs, und sie hielten insgeheim Kontakt miteinander. [Ref 379]
Als Verbindungsmann zwischen ihnen diente ein Protegé Burgunds, der sowohl mit der Herzogin von Burgund als auch dem Herzog der Bretagne verwandt war, eben jener zwielichtige Pierre de Craon, der die Gelder für den Neapelfeldzug des Herzogs von Anjou unterschlagen hatte. Seither hatte er einen gerichtlichen Befehl, der Witwe Anjous das Geld zu ersetzen, einfach mißachtet, hatte einen Ritter von Laon ermordet, aber auch hierfür durch seine Beziehungen eine Begnadigung erreicht. Diese Missetaten hatten nicht verhindert, daß er sich der Gunst eines Kreises von
Vergnügungssüchtigen am königlichen Hof erfreute. Offenbar besaß er den Charme des Bösen. Er verärgerte indessen Ludwig von Orléans dadurch, daß er dessen Frau – anscheinend aus einem unwiderstehlichen Drang, Unfrieden zu stiften – von einer außerehelichen Affäre Ludwigs berichtete. Ludwig, der Craon offensichtlich vertraute, hatte ihn sogar zu einem Besuch bei der schönen, aber zu tugendhaften Dame mitgenommen, die selbst einem Angebot von 1000 Goldkronen für ihre Gunst widerstanden hatte. Als Ludwig Craons Verrat entdeckte, wandte er sich in seinem Zorn mit der Geschichte an den König, der den Unruhestifter auch prompt verbannte. Craon seinerseits behauptete nun, er sei verbannt worden, weil er versucht habe, Ludwig davon abzubringen, okkulte Künste zu betreiben und mit Zauberern zu verkehren.
Voller Ressentiments suchte er beim Herzog der Bretagne Zuflucht, der sein Vetter war. In Craon fand Montfort das Instrument für einen neuen Versuch, Clisson zu Fall zu bringen. Da der Constable mit einer Nichte der Herzogin von Anjou verheiratet war, teilte er automatisch die Erbfeindschaft dieser Familie gegen Craon. Deshalb hatte Craon ohnehin den Verdacht – und der Herzog hatte keine Mühe, ihn davon zu überzeugen –, daß die Hand Clissons seine Verbannung bewirkt habe – was sogar wahr gewesen sein mag. Clisson hat angeblich das geheime Einverständnis zwischen Craon und den Herzögen aufgedeckt. Wie auch immer, Craon »atmete nur noch für die Rache«. [Ref 380]
In der Nacht des 13. Juni 1392 wartete Craon, heimlich nach Paris zurückgekehrt, an einer Kreuzung auf Clisson, der hier auf der Rückkehr zu seinem hôtel vorübergehen mußte, um ihn zu überfallen. Er führte eine Gruppe von vierzig Männern in voller Rüstung mit sich, genug, um jedem Gegner, der nicht kriegsmäßig ausgerüstet war, überlegen zu sein. Wenn ein Mann wirklich den Tod eines anderen Adligen wünschte, war der Kodex der Ritterlichkeit überraschend kraftlos. Statt seinen Gegner zum offenen Zweikampf zu fordern, zog Craon es vor, im Dunkeln
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