Der ferne Spiegel
nahm Coucy seine Pflichten als Generalleutnant in der Auvergne und in Aquitanien wieder auf und kam im März 1392 erneut nach Norden, um den König zu den
großen Unterhandlungen in Amiens zu begleiten. Da König Karl VI. kurz zuvor ein Sohn geboren worden war – Isabeaus fünftes Kind, wobei die beiden ältesten schon wieder gestorben waren –, schien ein günstiger Stern über den Verhandlungen zu stehen. Paris feierte die Geburt des Dauphins mit großer Begeisterung, die Glocken läuteten und Freudenfeuer loderten auf den öffentlichen Plätzen. Menschen füllten die Kirchen, um Gott für den Dauphin zu danken, und tanzten und sangen danach in den Straßen, wo Tische mit Wein und Speisen von adligen Damen und reichen Bürgern aufgebaut worden waren. Der Gegenstand ihres Jubels sollte im Alter von neun Jahren sterben wie auch vier weitere Söhne des Königs, bis schließlich einer der schwächlichen Nachkommen überlebte, um jener energielose Dauphin zu werden, der dann als Karl VII. von Johanna von Orléans gekrönt wurde.
Außerordentliche Maßnahmen wurden ergriffen, um sicherzustellen, daß es zu keinem Streit zwischen dem französischen und englischen Gefolge kommen konnte, der die Verhandlungen hätte stören können. Der Rat befahl allen französischen Untertanen unter Androhung der Todesstrafe, sich jeder beleidigenden oder provozierenden Bemerkung, jeder Herausforderung zum oder auch nur Rede über den Kampf zu enthalten. [Ref 377]
Diese Vorsichtsmaßnahmen verweisen allerdings weniger auf die Sehnsucht der Franzosen nach Frieden als nach einer Einigung, die es ihnen erlaubte, sich auf den Weg der Tat und dann die Kreuzfahrt zu begeben. Auf der englischen Seite zeigten die Herzöge von Lancaster und York die gleiche Neigung, aber die Abwesenheit Gloucesters lag wie ein dunkler Schatten über den Gesprächen. Im Wissen um Coucys Einfluß hatten die englischen Herzöge dessen Tochter Philippa mitgebracht, zweifellos in der Hoffnung, auf diese Weise sein Wohlwollen zu gewinnen. Philippa hatte sich glühend gewünscht, den Vater wiederzusehen, den sie ja kaum kannte, und Coucy freute sich sehr über das Treffen. Seine Tochter »reiste in guter Ausstattung, aber wie eine Witwe, die in ihrer Ehe wenig Vergnügen genossen hatte«.
In Anwesenheit des auf einem Thron sitzenden französischen Königs wurden die Verhandlungen zu Ostern mit großen Zeremonien eröffnet. Lancaster kniete dreimal auf seinem Weg vor den
Thron nieder, um seine Huldigung rituell zu bezeugen, und wurde vom König mit freundlichen Worten willkommen geheißen und von Burgund und Berry mit Friedensküssen begrüßt. Der Glanz des Herzogs von Burgund war noch wunderbarer denn je. Er war in schwarzen Samt gekleidet, in den auf dem linken Ärmel ein Zweig mit zweiundzwanzig Rosen, die aus Saphiren und Rubinen zusammengesetzt waren, eingestickt war. An einem anderen Tag trug er eine scharlachrote Samtrobe, die auf jeder Seite von einem eingestickten Bären verziert war, dessen Kragen, Schnauze und Leine von Juwelen glitzerten. Die großen französischen Herren, darunter auch Coucy, gaben jeder ein Bankett für die Engländer, auf denen ritterliche Höflichkeiten ausgetauscht und alte Bekanntschaften erneuert wurden. [Ref 378]
Aber alle Maßnahmen, freie Mahlzeiten und luxuriöse Ausstattung reichten nicht aus, den Frieden zu erreichen. Die Verhandlungen währten zwei Wochen, aber beide Seiten wußten bald, daß sie sinnlos waren. Die englische Forderung auf die ausstehenden fast anderthalb Millionen Franken für König Johanns Lösegeld wurde von den Franzosen mit einer Schadenersatzforderung von drei Millionen für die Kriegsschäden auf französischem Boden beantwortet. Sie gingen so weit, die Forderung auf Übergabe von Calais dahin zu reduzieren, daß nur die Befestigungsanlagen der Stadt geschleift werden sollten, um sie unbrauchbar zu machen. Aber die Engländer lehnten ab, denn sie sagten sich, daß sie, solange sie Calais hielten, »den Schlüssel Frankreichs am Gürtel trugen«. Die Souveränität Aquitaniens war so umstritten wie je. Sogar als die Franzosen anboten, den Rückstand von Johanns Lösegeld zu zahlen und den friedlichen Besitz, wenn auch nicht die Souveränität über Aquitanien im Austausch gegen das Schleifen von Calais zu garantieren, zögerten die Engländer. Sie waren sich nicht sicher, daß sie den Frieden wirklich wollten. Als Karl VI. für die Kreuzfahrt sprach, sagten sie wie so oft zuvor, daß sie nicht die
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