Der ferne Spiegel
auch die ungeklärten Rechtsansprüche seiner beiden Nichten, die ihm Sorge bereiteten. Er wurde von seiner Frau beherrscht, der »bösen, lahmen Königin« [Ref 38] Johanna von Burgund, einer bösartigen Frau, die, obwohl sie eine Förderin der Künste
und der Wissenschaften war, weder geliebt noch geachtet wurde. Philipp war so fromm wie sein Ururgroßvater, Ludwig der Heilige, dem er aber in Intelligenz und Willenskraft um vieles nachstand. Ihn faszinierte die alles bestimmende Frage nach der seligmachenden Anschauung Gottes: Bekamen die Seelen der Gesegneten sofort nach ihrer Ankunft im Himmel das Antlitz Gottes zu Gesicht, oder mußten sie bis zum Tage des Jüngsten Gerichts darauf warten?
Diese Frage war deshalb von entscheidender Bedeutung, weil die Fürsprache der Heiligen ja nur dann möglich war, wenn sie sich Gott nähern durften. Der Volksglaube verließ sich darauf, daß die Heiligen bei Opfern an ihren Reliquienschreinen imstande waren, von ihrer Fürsprachemöglichkeit bei dem Allmächtigen Gebrauch zu machen. Zweimal versammelte Philipp VI. die Theologen, um dieses Problem in seiner Gegenwart zu diskutieren. Er »geriet in mächtigen Zorn«, als der päpstliche Gesandte die Zweifel des Heiligen Stuhls unterbreitete. »Der König erteilte ihm einen heftigen Verweis und drohte, ihn wie einen Albigenser zu verbrennen, wenn er seine Behauptung nicht zurücknähme, und sagte weiter, wenn der Papst tatsächlich derartige Ansichten hege, würde er ihn als einen Ketzer betrachten.« Tief besorgt schrieb Philipp an Johannes XXII., daß seine Zweifel an der seligmachenden Anschauung Gottes den Glauben an die Fürsprache der Gottesmutter und der Heiligen zerstörten. Zum Glück für Philipps Seelenfrieden entschied eine päpstliche Kommission nach sorgfältigen Nachforschungen, daß die Heiligen wirklich vor das Angesicht Gottes treten durften. [Ref 39]
Philipps Regierungszeit nahm einen guten Anfang, und das Königreich kam zu Wohlstand. Die Nachwirkungen der Hungersnöte und Seuchen verebbten, die schlechten Omina wurden vergessen, und das fortwährend streitsüchtige Flandern war durch einen Feldzug im ersten Amtsjahr Philipps wieder unter französische Kontrolle gebracht worden. Die Beziehungen der Krone zu den großen Provinzen Flandern, Burgund, Bretagne und im Süden Armagnac und Foix waren gesichert. Nur Aquitanien, das die englischen Könige als Lehen der Krone Frankreichs hielten, war eine beständige Quelle schwelender Konflikte. Hier stießen die englischen Expansionsversuche
mit dem französischen Interesse an Wiedereingliederung des Lehens zusammen.
Als der Konflikt sich zuspitzte, führten diese Umstände zu einer Verbindung der Coucys mit einem anderen regierenden Herrscherhaus, den österreichischen Habsburgern, und zwar durch eine Eheschließung. Aus dieser Ehe sollte später Enguerrand VII. hervorgehen. Sie wurde von Philipp VI. selbst gestiftet, als er Verbündete für den kommenden Kampf gegen England suchte. 1337 hatte Philipp Aquitanien als beschlagnahmt erklärt, woraufhin sich Eduard III. »Rechtmäßiger König von Frankreich« nannte und den Krieg vorzubereiten begann. Eduards erneuerter Anspruch auf den französischen Thron war weniger ein Kriegsgrund als ein Vorwand, die endlosen Auseinandersetzungen über die Souveränität von Aquitanien kriegerisch zu klären. Als die englischen Truppen in Flandern landeten, um sich auf den Angriff vorzubereiten, suchten beide Parteien in den Niederlanden und jenseits des Rheins fieberhaft nach Verbündeten. [Ref 40]
König Philipp war aber nicht nur bemüht, Verbündete zu finden, er war auch um die Loyalität der strategisch wichtigen Baronie Coucy besorgt. Als reiche Belohnung verheiratete er Enguerrand VI. mit Katharina von Österreich, Tochter des Herzogs Leopold I., Enkelin mütterlicherseits von Amadeus V., Graf von Savoyen. Das Haus Savoyen regierte damals ein selbständiges Gebiet, das sich von Frankreich bis Italien quer über die Alpen hinwegzog und außerdem der Mittelpunkt eines fürstlichen Verwandtschaftsgeflechts war, das sämtliche Königshäuser auch über Europa hinaus miteinander verband. Eine der sieben Tanten Katharinas war die Gemahlin von Andronikos III., Palaiologos, dem Kaiser von Byzanz.
Um die finanziellen Bedingungen der Habsburg-Coucy-Verbindung zu klären, bedurfte es zweier Verträge zwischen dem König von Frankreich und dem Herzog von Österreich. Diese wurden 1337 und 1338 geschlossen. Herzog Leopold gab
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