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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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dann unter dem Zeichen des Kreuzes ein neues Zeitalter anbrechen. Mit vagen Gerüchten von einem neuen Kreuzzug vermischt, wurde diese Legende von einem entlaufenen Mönch und einem exkommunizierten Priester unter den Armen verbreitet. »Unerwartet und plötzlich wie ein Sturm« trieb diese Nachricht die Armen und Heimatlosen Frankreichs nach Süden, wo sie sich zur vermeintlichen Reise ins Heilige Land einschiffen wollten. Sie sammelten Anhänger und Waffen auf dem Weg, sie stürmten Burgen und Abteien, verbrannten Rathäuser, öffneten die Gefängnisse und warfen sich, als sie die Südküste erreicht hatten, mit vereinigter Kraft auf die Juden.
    Die Juden waren seit langem wegen der hohen Schulden verhaßt, die die Bauern bei ihnen machen mußten, um Werkzeuge oder Pflüge kaufen zu können. Die Bauern hatten geglaubt, daß ihre Schulden nach der Judenvertreibung durch König Philipp erloschen waren. Dessen Sohn Ludwig X. hatte die Juden jedoch zurück ins Land geholt, nachdem sie ihm einen Zweidrittelanteil an ihren verloren geglaubten Schuldsummen abgetreten hatten. Das verschärfte die Erbitterung der Landbevölkerung, und die Pastorellen griffen die Juden von Bordeaux bis Albi mit begeisterter Unterstützung des Volkes auf und verschonten niemandes Leben. Obwohl der König befohlen hatte, daß die Juden zu schützen seien, konnten die örtlichen Verwaltungen die Gewalttaten nicht verhindern, schlossen sich zum Teil sogar den Pastorellen an. Daß die Juden »unheilig« seien, war ein tiefverwurzelter Glaube, den die Kirche ermutigte. Abneigung gegen Juden wurde so ein Zeichen der Frömmigkeit. Allen voran schritt Ludwig der Heilige. Wenn die Juden unheilig waren, dann war es Christenpflicht, sie auszuplündern und umzubringen. Auch die Leprakranken wurden zur Zielscheibe der Aufständischen, da sie glaubten, daß diese sich in einem schrecklichen Komplott mit den Juden verbündet hatten, um die Brunnen zu vergiften. Ihre Verfolgung wurde durch königlichen Erlaß 1321 legalisiert.
    Die Pastorellen bedrohten Avignon, griffen Priester an und raubten Kircheneigentum. Die Privilegierten lebten in Furcht und Schrecken, wo immer die wilden Haufen auftauchten. Von Papst Johannes XXII. exkommuniziert, wurde ihrem Treiben schließlich
Einhalt geboten, da er jedem unter Androhung der Todesstrafe verbot, ihnen Verpflegung zukommen zu lassen, und die Anwendung staatlicher Gewalt gegen sie sanktionierte. So endete die Pastorellenbewegung, wie jeder Ausbruch der Armen im Mittelalter früher oder später endete – Leichen hingen an den Bäumen.
     
    Zum großen Unglück dieses Jahrhunderts trug kein einzelner Faktor mehr bei als das beständige Mißverhältnis zwischen dem Anwachsen des Staates und den Mitteln zu seiner Finanzierung. Auf der einen Seite entwickelte sich ein zentralistisches Regierungssystem, aber auf der anderen Seite basierte die Besteuerung immer noch auf dem Konzept, daß Steuern eine Notstandsmaßnahme waren, die überdies der Zustimmung der Betroffenen bedurfte. Nachdem er jede andere Einkommensquelle erschöpft hatte, wandte Philipp der Schöne sich 1307 in der sensationellsten Episode seiner Herrschaft gegen den Templerorden. Das Ergebnis war, wie seine Zeitgenossen glaubten, ein Fluch, der sich auf das ganze Land legte. Und das, was die Menschen glauben, wird zu einem Element ihrer Geschichte. [Ref 47]
    Kaum ein Sturz konnte spektakulärer und vollkommener sein als der Untergang dieses arroganten Ritterordens. Einstmals als bewaffneter Arm der Kirche zur Verteidigung des Heiligen Lands ins Leben gerufen, war das asketische Armutsideal des Templerordens durch immense Reichtümer und internationale Machtpolitik verdrängt worden. Frei von jeder Besteuerung, waren die Templer zu den Bankiers des Heiligen Stuhls geworden, zu Geldverleihern, die niedrigere Zinssätze als die lombardischen Bankiers oder die Juden anboten. Mildtätigkeit wurde ihnen nicht nachgesagt, und sie unterhielten auch keine Krankenhäuser wie die Johanniter. Die Templer hatten ihr Hauptquartier im »Temple« eingerichtet, einer mächtigen Festung in Paris, die als die größte Schatzkammer Nordeuropas angesehen wurde und als Zentrum des zweitausend Mitglieder starken Ordens galt.
    Nicht nur ihr Geld, sondern auch ihre Existenz als eine praktisch autonome Enklave luden zu ihrer Zerschlagung geradezu ein. Den Anlaß zum Angriff gab schließlich ihr zwielichtiger Ruf, der auf die geheimen Zeremonien des Ordens zurückging. Mit der

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