Der ferne Spiegel
Gewalt
und Blitzartigkeit eines Tigersprungs brachte König Philipp den »Temple« von Paris in seine Gewalt und ließ noch in derselben Nacht alle Templer in Frankreich festnehmen. Um die Beschlagnahme des Ordenseigentums zu rechtfertigen, beschworen die Anwälte des Königs jeden dunklen Aberglauben, jede Hexengeschichte und jede Teufelsangst des mittelalterlichen Vorstellungsvermögens herauf. Von gekauften Zeugen wurden die Templer der Grausamkeit, der Götzenverehrung und der Leugnung der Sakramente angeklagt; man warf ihnen vor, ihre Seelen dem Teufel verkauft und ihn in Gestalt einer riesigen Katze angebetet zu haben. Sodomie untereinander und Verkehr mit Dämonen ergänzten die Anklage. Die Aufnahmeriten des Ordens sollten die Schändung Christi, Gottes und der Heiligen Jungfrau eingeschlossen haben, wobei die Templer laut Anklage auf das Kreuz urinierten, darauf herumtrampelten und ihrem Prior den »Kuß der Schande« auf Mund, Penis und Gesäß gaben. Um sich Mut zu diesen Praktiken zu machen, so sagte man, tranken sie einen Saft, der aus der Totenasche verstorbener Mitglieder und unehelicher Kinder der Templer gewonnen war. [Ref 35]
Magie und Hexerei galten im mittelalterlichen Leben als Realitäten, aber der Gebrauch, den Philipp während des siebenjährigen Melodrams der Templerprozesse davon machte, gab diesem Glauben eine schreckliche Aktualität. Von nun an wurde die Anklage der Schwarzen Magie ein beliebtes Mittel, um Gegner zu Fall zu bringen. Auch die Inquisition scheute davor nicht zurück, wenn es galt, Ketzer zu verurteilen, vorzugsweise dann, wenn ein lohnender Besitz zu beschlagnahmen war. In den nächsten 35 Jahren verfolgte die Inquisition allein in Toulouse und Carcassonne tausend Personen unter dieser Anklage und verbrannte sechshundert. Die französische Justiz wurde korrumpiert, und die Grundlage für die Hexenprozesse der folgenden Jahrhunderte war geschaffen.
Philipp zwang den ersten Papst von Avignon, Klemens V., die Templerprozesse zu autorisieren, und mit dieser Macht ausgestattet, ließ er die Templer foltern. Die mittelalterliche Gerichtsbarkeit verurteilte kaum jemand ohne ordentliches Verfahren oder ohne Beweis, aber Beweise bestanden fast ausschließlich aus Geständnissen des Angeklagten und nicht aus Tatsachen, und Geständnisse
wurden fast ausnahmslos durch die Folter erwirkt. Die Templer, von denen viele alte Männer waren, kamen auf die Streckbank, ihnen wurden Daumenschrauben angelegt, sie mußten hungern, sie wurden mit Gewichten behangen, bis die Gelenke auskugelten, Zähne und Fingernägel wurden einzeln herausgerissen, ihnen wurden die Knochen mit dem Keil gebrochen oder die Füße im Feuer verbrannt. In den Pausen wurde immer wieder »die Frage« gestellt, bis sie geständig waren oder starben. 36 starben unter der Folter, andere begingen Selbstmord. Durch die Folter gebrochen, gestanden der Großmeister, Jacques de Molay, und 122 weitere, auf das Kreuz gespuckt zu haben oder andere Verbrechen, die ihnen von den Inquisitoren in den Mund gelegt worden waren. »Er hätte auch gestanden, daß er Gott selbst erschlagen habe, wenn sie ihn das gefragt hätten«, [Ref 36] kommentierte ein Chronist.
Der Prozeß zog sich so lange hin, weil Papst, Inquisition und König juristische Haarspaltereien betrieben, während die Angeklagten hungernd in Ketten lagen und immer wieder von neuem aus ihren Verliesen geschleppt wurden, um neue Fragen zu beantworten und weitere Erniedrigungen zu erleiden. 67 von ihnen, die den Mut gefunden hatten, ihre Geständnisse zu widerrufen, wurden lebendig als rückfällige Ketzer verbrannt. Nach langen, vergeblichen Verzögerungen durch Klemens V. wurde der Templerorden in Frankreich, England, Schottland, Aragonien, Kastilien, Portugal, Deutschland und im Königreich Neapel durch das Konzil von Vienne, 1311 /12, endgültig verboten. Offiziell wurde ihr Eigentum dem Johanniterorden übertragen, aber allein schon die Tatsache, daß Philipp der Schöne in Vienne zur Rechten des Papstes saß, läßt darauf schließen, daß er nicht leer ausging. Und tatsächlich zahlte ihm der Johanniterorden später eine immense Summe, die Philipp zu einer alten Schuld der Templer ihm gegenüber erklärte.
Aber auch das war noch nicht das Ende. Im März 1314 wurde der Großmeister, der der Freund des Königs und Pate seiner Tochter gewesen war, mit seinem Vertreter auf ein Gerüst geführt, das auf dem Platz vor Notre-Dame errichtet worden war, um vor der
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