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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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ließ ihn völlig ungerührt, obwohl die Rhetorik, wiederum aus der Feder Clamanges, auch ein Gewissen aus Granit erweicht hätte. Wenn er abträte, schrieb die Universität, würde er »ewige Ehre, unvergänglichen Ruhm, einen Chor universellen Lobes und unsterblichen Glanz« gewinnen. Wenn er die Abdankung aber um einen Tag verschiebe, würde ein zweiter folgen und dann ein dritter. Sein Geist würde geschwächt, Schmeichler und Karrieristen würden mit süßen Worten und Geschenken kommen; unter der Maske der Freundschaft »werden sie Euren Geist mit der Furcht vor bösen Folgen vergiften und Euren Eifer für dieses edle und schwierige Unternehmen abkühlen«. Die Süße der Ehre und der Macht wird ihn ergreifen. »Wenn Ihr heute bereit seid, warum wollt Ihr bis morgen warten? Wenn Ihr heute nicht bereit seid, werdet Ihr es morgen noch weniger sein.« Der Friede und die Gesundheit der Kirche sind in seinen Händen. Sollte sein Rivale sich weigern, abzudanken, wenn Benedikt es tut, wird er sich selbst als »verstocktester Schismatiker« entlarven und allen Katholiken die Notwendigkeit, ihn zu verbannen, bewiesen haben.
    Einseitige Abdankung aber leuchtete Benedikt nicht ein, denn er war keineswegs überzeugt, daß der moralische Effekt einer solchen Handlung seinen Rivalen ebenfalls zum Verzicht bewegen würde. Als der Kanzler d’Ailly und sein feurig-beredsamer Kollege Gilles Deschamps als Botschafter des Königs nach Avignon kamen, um Druck auf Benedikt auszuüben, stellten sie bald fest, daß des früheren Pedro de Lunas leichtes Versprechen, den Hut zu lüften,
einer spanischen Sturheit gewichen war, die »in jenem Land der guten Maultiere« gewachsen war.
    Der Druck aus Paris nahm zu. Im Februar 1395 trat im Namen des Königs eine Konferenz von einhundertneun Prälaten zusammen, um über den Weg zur Beendigung des Schismas zu sprechen. Nach zweiwöchigen Beratungen, an denen Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und Doktoren der Theologie teilnahmen, stimmte sie mit siebenundachtzig zu zweiundzwanzig für den Weg der Abtretung und für einen Verzicht auf den Weg der Tat. Dieses Ergebnis spiegelte nicht allein die Überzeugung der Teilnehmer wider, sondern auch den Aufstieg des Herzogs von Burgund. Prälaten und Theologen, die in ihrem Unterhalt von dem einen oder anderen der königlichen Herzöge abhingen, beobachteten genau die politische Entwicklung. Dementsprechend wandelte sich ihre Haltung je nachdem, ob Burgund oder Orléans mehr Macht hatte – gewöhnlich Burgund, wenn der König wahnsinnig, und Orléans, wenn er bei Verstand war –, was eine konsequente Politik verhinderte.
    Die Mehrheit der Konferenz wandte sich jetzt gegen den Voie de Fait. Er wurde als »zu gefährlich« erklärt, da er den König von Frankreich mit all jenen in Kriege verwickeln könnte, die dem »Eindringling« in Rom gehorchten. Selbst wenn Bonifatius IX. zu besiegen wäre, sagten die Prälaten, würden die Nationen von England, Italien, Deutschland und Ungarn Benedikt XIII. nicht anerkennen, und »das Schisma wäre noch stärker als jetzt«. Die einzige Hoffnung lag darin, daß Benedikt dem König von Frankreich seine Abdankung in die Hände legte, der dann seine Mitherrscher anderer Observanz aufrufen konnte, auch Bonifatius’ Abdankung zu erzwingen. Trotz der offensichtlichen Fehlschlüsse in diesem Vorgehen wollte die Krone deutlich eine Entscheidung für die Abdankung. Ohne einen französischen Papst hatte der Weg der Tat allen Reiz verloren.
    Das Königreich Adria und die Eroberung der päpstlichen Staaten verschwanden mit dem Voie de Fait und zugleich auch jede Aussicht Benedikts, seinen Rivalen mit der Macht der französischen Waffen zu vertreiben. Um ihn von dieser Tatsache zu überzeugen, entsandte die Krone die eindrucksvollste Gesandtschaft, die je in Avignon aufgetreten war. Ihr gehörten alle drei königlichen
Herzöge an – Burgund, Berry und Orléans –, unterstützt von zehn Delegierten der Universität von Paris. Die Botschaft war ein bewußter Versuch, der Kirche den königlichen Willen aufzuzwingen, wenn auch versüßt durch großzügige Geschenke burgundischen Weins und flämischer Wandteppiche. Sie traf auf einen Opponenten, der sich in der Kunst des Ausweichens von niemandem übertreffen ließ.
    In einer Serie von Audienzen wurde der Streitfall in geschliffener Rede diskutiert. Jede Audienz begann mit der üblichen »blumenreichen Rhetorik« und vielen kanonischen und historischen Zitaten beider Seiten. Als

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