Der ferne Spiegel
aller aussetzen.« Überdies beanspruchte er als Constable, an erster Stelle zu reiten; jeder, der vor ihm ins Gefecht ginge, beleidige ihn tödlich – das ging gegen Coucy. Boucicaut unterstützte d’Eu hitzig, und Nevers war leicht zu überzeugen, daß die türkischen Krummsäbel den französischen Lanzen und Schwertern nicht ebenbürtig seien. Sigismund verließ den Rat, um seinen eigenen Schlachtplan zu entwerfen.
Offenbar schon wenige Stunden später schickte er seinen französischen Verbündeten die Nachricht, daß Bajasid nur noch sechs Marschstunden vor Nikopol stehe. Die Kreuzritter, angeblich beim Abendessen und vom Wein angeheitert, erhoben sich in großer Unordnung, einige noch ungläubig, andere in Panik, um sich zu bewaffnen. Die ganze Kopflosigkeit des Feldzugs gipfelte nun in einer sinnlosen Greueltat. Angeblich weil keine Wachen für sie entbehrlich waren, wurden die von Rachowo mitgeführten Gefangenen ausnahmslos niedergemetzelt. Kein Chronist berichtet, wer den Befehl hierzu gab, aber der Mönch von St. Denis brandmarkte das Massaker als einen Akt der »Barbarei«.
Als der Tag anbrach und sich die Armeen unter flatternden Bannern aufstellten, versuchte König Sigismund noch im letzten Moment, seinen Schlachtplan durchzusetzen. Er warnte noch einmal vor einem überhasteten Angriff; die Kreuzfahrer könnten sicher sein, nicht eingeschlossen zu werden, wenn sie abwarteten. »Sires, tut, wie ich Euch rate, denn dies sind die Befehle des Königs von Ungarn und seines Rates.«
Nevers berief hastig seinen eigenen Rat ein, befragte Coucy und Vienne, die beide dafür waren, dem Wunsch des Königs von Ungarn zu folgen. »Er hat das Recht, uns zu sagen, was wir tun sollen«,
mahnte Coucy. D’ Eu unterbrach ihn: »Ja, ja, der König von Ungarn will Ruhm und Ehre der Schlacht für sich.« Dies sei Sigismunds Bestreben und nichts anderes. »Wir sind die Vorhut. Das hat er uns zugestanden, und nun will er es zurücknehmen. Wer will, mag ihm glauben. Ich tue es nicht.« Er ergriff sein Banner und schrie: »Vorwärts im Namen Gottes und des heiligen Georg, Ihr sollt mich heute als tapferen Ritter sehen!«
Coucy erklärte diese Rede des hirnlosen Constable – er war für dieses Amt nur die dritte Wahl gewesen – als »Anmaßung«. Er bat Vienne um seine Meinung, den ältesten Ritter der Armee. »Wenn Wahrheit und Vernunft nicht gehört werden«, sprach der Admiral, »dann muß die Anmaßung herrschen.« Wenn der Constable zu kämpfen wünsche, müsse die Armee ihm folgen, aber es wäre stärker, wenn sie zusammen mit den Ungarn und den anderen Verbündeten angriffe. D’Eu weigerte sich hartnäckig zu warten. Der Disput wurde hitziger, die jüngeren Heißsporne warfen den Älteren vor, sie zögerten nicht aus Vorsicht, sondern aus Furcht. Wenn Coucy und Vienne schließlich nachgaben, dann vor allem, weil die Vorsicht noch nie ein starkes Argument gegen den Mythos der Tapferkeit war.
D’Eu gab den Befehl zum Angriff, er selbst ritt an der Spitze der Vorhut. Nevers und Coucy befehligten die Hauptstreitmacht. Auf ihren Streitrossen und so glanzvoll gerüstet, »daß jeder Mann wie ein König erschien«, ritten sie zusammen mit ihren berittenen Bogenschützen gegen den Feind, der von den Hügeln vor ihnen herabstieg. Es war der 25. September. Die Ritter von Rhodos, die Deutschen und die anderen Verbündeten blieben beim König von Ungarn, der das Geschehen nicht länger kontrollierte.
Der Ansturm des französischen Angriffs zerschlug ohne Mühe die wenig kriegstüchtigen Söldnerreihen der türkischen Vorhut. Im Rausch des Erfolgs warfen sich die Ritter ohne zu zögern auf die gutausgebildete türkische Infanterie. Sie wurden mit einem tödlichen Pfeilhagel und von Reihen angespitzter, in den Boden gerammter Pfähle empfangen, die auf die Pferdeleiber zielten. Wie die Franzosen diese durchbrachen, ist unklar. Es ist unmöglich, aus dem Gewirr verschiedenster Versionen einen klaren Schlachtablauf zu destillieren.
Offenbar wurden viele Pferde aufgespießt, viele Pfähle aber auch von französischen Hilfstruppen vorher beseitigt. Die Ritter kämpften mit Schwert und Schlachtaxt weiter, und anscheinend gelang es ihnen, durch ihren Kampfesmut und durch das Gewicht ihrer Pferde und Waffen die türkische Infanterie niederzumachen und in die Flucht zu schlagen. Coucy und Vienne riefen dringend zu einer Pause auf, um die Schlachtordnung wiederherzustellen und den Ungarn Zeit zu geben, nachzurücken, aber die
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